Beiträge, Corona-Pandemie, Coronomics

von Markus C. Kerber [1]

 

Wäre die Infektionsentwicklung in Deutschland nicht so bedrohlich, so könnte man über die Impfstoffversorgung, wie sie von der EU und vom Bundesgesundheitsminister betrieben wird, nur müde lächeln.

 

Obschon Langzeitfolgen der Benutzung der unterschiedlichen Vakzine bislang gar nicht erforscht werden konnten, haben unterschiedliche Hersteller Notfallzulassungen von der europäischen Arzneimittelbehörde bekommen. Dies gilt jedenfalls für das von BioNTech/ Pfizer entwickelte Vakzin genauso wie für die an der Universität Oxford von dem britisch/schwedischen Konzern Astra-Zeneca und von Moderna entwickelten Impfstoffe.[2]

 

Obwohl nahezu allen Politikern eine eigenständige Kenntnis über die Wirkungen der Vaccine fehlt, haben sie sich für die  präventive Bestellung von  Vakzinen in großen Mengen engagiert. Es wirkt nahezu surrealistisch, dass der am Weitesten gediehene Impfstoff von BioNTech, einem deutschen Unternehmen, deren Leiter an der Mainzer Guttenberg Universität Grundlagenforschung betrieben haben, in allen Ländern der Welt, besonders in Israel in Hülle und Fülle zur Verfügung steht, nicht aber in Deutschland. Bundesgesundheitsminister Spahn wollte unbedingt sicherstellen, dass der Impfstoff den Bürgern der Europäischen Union gleichzeitig zur Verfügung steht und überließ es der Europäischen Kommission eine Einkaufsstrategie festzulegen. Hierfür hat die Europäische Kommission keinerlei Mandat. Gesundheitspolitik ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Europäischen Verträge eine nationale Angelegenheit.[3] Dennoch unterließ es Spahn, auf die EU entsprechend einzuwirken, um eine intelligente Einkaufsstrategie zu fördern. Die EU-Kommission setzte auf unterschiedliche Pharmafirmen, darunter auch BioNTech, ohne zu wissen, welches der Unternehmen den größten Forschungsfortschritt und das reifste Produkt haben würde. In den Genuss dieser Vorverträge kamen indessen nicht nur die mit entsprechenden Impfstoffen nunmehr aufwartende Unternehmen Astra-Zeneca und Moderna sowie BioNTech, sondern auch der immer noch hinterherhinkende französische Pharmakonzern Sanofi.[4] Erst nachdem der BioNTech Chef öffentlich gemacht hat, dass er der Kommission sogar 500 Millionen Dosen des Vakzins angeboten hatte, begann die Diskussion um den EU-Impfsozialismus. Zum ersten Mal fragen die Medienvertreter nach den Preisen für die unterschiedlichen Vakzine sowie nach der Qualität der Verträge. Schließlich wird auch endlich über die Rechtsgrundlage des Handelns der Europäischen Kommission eine vorsichtige Debatte geführt. Derweil wird in Amerika und Israel aufgrund des vorhandenen Impfstoffs dynamisch geimpft.

Dass Israel bereits eine Million Impfungen durchgeführt hat, liegt u. a. auch daran, dass es bereit war, einen viel höheren Preis als die Europäische Kommission für wirksame Vakzine zu zahlen. Dieser Preis entspricht der infektiösen Betroffenheit Israels. Die volkswirtschaftlichen Schäden und die ökonomischen Folgen einer andauernden Pandemie sind sehr viel größer als der ggf. überhöhte Preis, welcher für den Impfstoff bezahlt worden ist.

Währenddessen sind die Verteilungspolitiker der neuen Gesundheitszentralgewalt in Brüssel immer noch nicht zu der Einsicht gekommen, dass nur die dezentrale Anforderung von Impfstoff seine wirksame Verwendung sicherstellt. Gerade jene Regionen und Gebietskörperschaften, die von den Infektionsgeschehen gesundheitlich gezeichnet und wirtschaftlich geschädigt sind, werden bereit sein, für die Überwindung der Pandemie die nötigen Mengen zum Markpreis zu bezahlen. Mit Impfnationalismus hat dieses Allokationsproblem nichts zu tun. Es ist eine Anmaßung von Wissen und ein Ausdruck organisierter Ungerechtigkeit, wenn die Kommission meint, die Impfmittel zentral beschaffen zu müssen und auch darüber entscheiden zu können, an wen, wann, wieviel Impfstoff geliefert wird. Das Ergebnis liegt auf der Hand. Es klappt vorne und hinten nicht. In Frankreich sind auch in arg dezimierten, pandemisch gezeichneten Regionen die Impfstoffe gar nicht angekommen. Mittlerweile kann das Land gerade einige tausend Impfungen zählen. Doch die Anmaßung der nicht-wissenden EU-Kommission gehen munter und ungestraft weiter. Und ihre deutsche Präsidentin setzt sich weiter als Wohltäterin in Szene.

 

Die Situation ist so peinlich für den Bundesgesundheitsminister, dass er sich kurzfristig entschloss, bilateral 30 Millionen Dosen von BioNTech zu ordern. Selbst SPD-Politiker Lauterbach, der für eine strengere gesundheitspolitische Linie steht, vermochte dem europäischen Beschaffungsprozess wenig abzugewinnen und plädierte für bilaterale Nachkäufe. Das alles lässt die ehemalige Assistenzärztin Dr. Ursula von der Leyen an der Spitze der EU-Kommission völlig ungerührt. Sie ist ungeniert bereit trotz des Impfsozialismus, für den ihre Kommission verantwortlich ist, Werbesprüche zu Europa vom Stapel zu lassen: Der Beginn der Impfkampagne sei ein „berührender Moment der Einigkeit.“ Wir werden sehen, ob die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union im Allgemeinen und Deutschlands im Besonderen derartige Anmaßungen mittelfristig politisch zu honorieren bereit sein werden.

 

 

 

[1] Dr. jur. Professor für Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin, Gründer von www.europolis-online.org,

[2] Der chinesische Impfstoff Sinopharm und der russische Impfstoff Sputnik V sind bislang noch nicht in den Genuss dieser Eilentscheidungen gekommen.

[3] Vgl.Art.168 AEUV

[4] Von Sanofi wurden nach Pressemeldungen  300 Millionen Dosen Impfstoff bestellt. Bisher blieb die Lieferung aus. Auch die Bestellungen bei Novavax und CureVac sowie bei Johnson/Johnson wurden bislang nicht von den Pharmaunternehmen erfüllt.

Kommentar verfassen