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Wir müssen die Folgen der Corona-Pandemie bewältigen. Aber wie viel Staat braucht es dafür? Möglichst wenig. Es darf nicht darum gehen, um jeden Preis eine «Rückkehr zu 2019 vor Covid-19» zu erzwingen.

Robert Nef, 04. 05. 2020, publiziert in NZZ online Ausgabe vom 13. Mai 2020

 

Die Corona-Pandemie hat auch politische Auswirkungen. Der Interventionismus wird von vielen als kollektives Überlebensprinzip wahrgenommen, und es gibt heute so etwas wie eine «kollektive Lust» am erzwungenen Verzicht auf Konsum, Mobilität und Luxus. Es gibt auch die Tendenz, die global auftretende Pandemie als eine Art «Strafe» für eine zu intensive internationale Verflechtung mit zu riskanten gegenseitigen Abhängigkeiten zu deuten.

Sie soll uns veranlassen, wieder vermehrt zur Idee der nationalen Selbstversorgung zurückzukehren und zu einer einfacheren, weniger arbeitsteiligen Lebensweise. Gegen solche spontanen (und nicht staatlich erzwungenen) Reaktionen ist nichts einzuwenden, denn Konsum ist kein Selbstzweck, den man durch immer wieder neue Anreize oder gar durch zwangsweise Umverteilung «anheizen» und «globalisieren» müsste.

Wenn zum Beispiel der Flugverkehr teurer wird, ist dies kein Grund, ihn staatlich zu subventionieren. Es gibt kein «Menschenrecht auf Tourismus per Flugzeug». Jeder Konsum sollte sich immer wieder auf die tatsächlich vorhandenen Bedürfnisse und Preise einstellen, und da darf und soll Qualität, auch Lebensqualität, durchaus vor Quantität und vor dem Drang zu «immer mehr», «immer schneller» und «immer grossräumiger» Vorrang haben.

Freiheit heisst auch verzichten können

Aber für solche Umstellungen braucht es keinen Interventionismus und keinen Zwang, sondern offene Märkte (auch Arbeitsmärkte, mindestens im nationalen Rahmen) und ein möglichst freies Preissystem, das auf neue Arten der Knappheit sensibel mit höheren Preisen reagiert, die den Konsum ohne staatlichen Zwang einschränken. Staatliche Hilfsgelder (die ja eigentlich Entschädigungen sind) sollten jetzt nicht dazu verwendet werden, à tout prix eine «Rückkehr zu 2019 vor Covid-19» zu erzwingen und allfällige, auch schmerzhafte Lernprozesse rückgängig zu machen.

Die neu aufkommende Begeisterung für eine Kombination von «mehr Lenkungsstaat» und «mehr Daseinsvorsorgestaat» im Sinne eines Fortschritts und einer Überwindung des angeblich «veralteten», einseitig auf «Sparen» fixierten staatsskeptischen Neoliberalismus (der sich übrigens nirgends voll durchgesetzt hat) gefährdet die Idee der Freiheit. Frei sein bedeutet stets auch verzichten können und sich abweichend von Mehrheiten verhalten, möglicherweise als Avantgarde abseits des allgemeinen Konsum- und Mobilitätsrauschs.

Freie, vom Staat nicht bevormundete Menschen werden nicht automatisch immer begehrlicher, konsumgeiler und hedonistischer, sondern passen sich lernend an neue und veränderte Situationen, Angebote, Nachfragen und Preise an. Möglicherweise hat man dem entscheidenden Faktor Gesundheit nicht primär im Staatsbudget, sondern im persönlichen Budget jedes mündigen Menschen zu wenig Gewicht gegeben. Wenn individuell für Freizeit, Vergnügen und Luxus mehr ausgegeben wird als für Grundbedürfnisse wie Gesundheit und Weiterbildung, stimmt etwas nicht bei den politisch-ökonomischen Anreizen für mündige Menschen. Was der Staat verbilligt oder gar unentgeltlich anbietet, sinkt auch in der allgemeinen Wertschätzung.

Gleicher Konsum für alle?

Die Idee einer offenen Gesellschaft, die auf möglichst spontanem Austausch, Pluralismus, Lern- und Experimentierbereitschaft, Kreativität und «Schaffen» beruht und nicht auf dem Vorauswissen und Besserwissen bei politisch-administrativen Zentralorganisationen, wird meines Erachtens zu Unrecht als «asozial», «konservativ», «geldgierig» und «materialistisch» angeprangert.

Die Maxime «Mehr Freiheit – weniger Staat» öffnet nicht einfach die Schleusen für einen zügellosen und umweltfeindlichen Konsumismus. Das Gegenprinzip «Mehr Staat» bedeutet nämlich nach allen bisherigen Erfahrungen gerade nicht «mehr Selbstbeschränkung» und «mehr Vernunft», sondern führt zu jener kollektiven «Bündelung» und «Gängelung» individueller Begehrlichkeiten, die oft vom Neid und von der Gleichmacherei geschürt werden.

So wird das ökonomische Prinzip «je knapper, desto teurer», das sich auch ökologisch positiv auswirkt, durch politisch festgesetzte Preise ausgehebelt. Die fiskalische Verteuerung kippt nämlich schnell einmal in eine künstliche Verbilligung um. Kontingente beschränken zunächst, werden aber schnell einmal zu Ansprüchen. Und die Vorstellung von Menschenrechten als verbrieften Anrechten auf gleichen Konsum für alle vermindert die individuelle Verzichtbereitschaft im Hinblick auf immaterielle Werte.

Wir brauchen keine «Einbettung»

Der deutsche Soziologe Andreas Reckwitz beobachtet einen Übergang von einem «dynamisierenden» zu einem «einbettenden» Liberalismus und weckt damit die Illusion, der Infrastruktur- und Daseinsvorsorgestaat sei der ideale «Einbetter». Freie Menschen müssen nicht eingebettet werden, sie suchen sich ihre Mischung von Aktivität und Musse, von Konsum und Verzicht selbst.

Aus freiheitlicher Sicht braucht es mehr Dynamik in Richtung Selbstbestimmung und Selbstbescheidung und nicht mehr Einbettung in Richtung sozialstaatlichen Etatismus. Dieser ist in seinen Auswirkungen (auch für die Armen) zutiefst asozial, produktivitätsvermindernd, kulturfeindlich und strukturkonservativ. Zwangssolidarität zerstört freiwillige Solidarität und fördert den Egoismus. Schon die mittelfristigen Auswirkungen sind auch unökologisch, weil sie auf Umverteilungen beruhen, die weltweit den Konsum mehr fördern, als man ihn durch Verbote wieder drosseln kann.

Solche Zusammenhänge sind schwer nachzuweisen, und wissenschaftlich beweisen kann man sie sowieso nicht. Aber wer ohne Vorurteile und ohne ideologische Voreingenommenheit die bisherigen Versuche mit etatistischer Daseinsvorsorge analysiert, stellt fest, dass sie sich insgesamt nicht als Zukunftsmodell eignen. Davor schützen auch wohlwollende Termini wie etwa «soziale Einbettung» nicht.

Die versprochenen Milliarden

Wenn der Staat neben der ökonomischen Grundversorgung auch den «gemeinsamen, wissenschaftlich ergründeten Fortschritt» in Gesundheit, Bildung und Kultur voll übernimmt, verkümmert jede Selbstverantwortung. Eigenständigkeit und vertraglich fundierte Zusammenarbeit werden dann durch eine amtliche, demokratisch gutgeheissene Top-down-Zuteilung an entmündigte Staatsklienten ersetzt. Die entscheidenden Fragen, wohin das letztlich führe, wer all die versprochenen Milliarden wie bezahlen solle und wie nachhaltig das sei, bleiben offen.

Es ist erstaunlich, wie erfolgreich die durchaus alltägliche, aber lästige Frage «Wer soll das bezahlen?» in der Politik verdrängt wird. Die gängigen Antworten lauten: die Wirtschaft, die Reichen, die Aktionäre, die Vermieter, kommende Generationen oder die mittelständischen Sparer. Man kann ja Gelder offenbar einfach von Staates wegen einmal «drucken», und dann läuft aus dieser Sicht das sozial-etatistische Perpetuum mobile. Was man diesbezüglich glauben und erhoffen will, ist weniger eine Frage der Ideologie und der Parteipolitik als eine Frage der ökonomischen und politischen Vernunft, die in Pandemiezeiten offenbar noch zusätzlich in Mitleidenschaft gezogen wird.

Robert Nef ist Publizist und Mitglied des Stiftungsrates des Liberalen Instituts.

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