Beiträge, Euro, Geldpolitik, Prof. Dr. Gunther Schnabl

Von Prof. Dr. Gunther Schnabel

Mario Draghi ist auf einer Tour durch die europäischen Parlamente, um den demokratischen Vertretern in der Europäischen Union seine Politik zu erklären. Wird er auch den Wasserbetteffekt erklären, der die Währungsunion spaltet?

Der Präsident der Europäischen Zentralbank wird wohl vielmehr betonen, dass der Euro ein großer Erfolg sei. Seit seiner Geburt ist die Anzahl der Euromitgliedsstaaten von 11 auf 19 angestiegen. Es wurde ein historisch hohes Niveau an Wechselkursstabilität in Europa erreicht. Das Preisniveau ist so stabil wie selbst unter der Deutschen Bundesbank nicht. Aber: die versprochenen Produktivitäts- und Wachstumsgewinne sind ausgeblieben. Die Staatsverschuldung ist in den meisten Mitgliedsländern über die Maastricht-Grenze hinaus angestiegen. Ein dichtes Netz an Rettungsmechanismen und geldpolitischen Sonderprogrammen mit undurchsichtigen Kürzeln wie ESM, ELA, ANFA, TARGET, OMT oder PSPP scheint nötig, um die gemeinsame Währung zusammenzuhalten. Warum?

Die Theorie der Optimalen Währungsräume nach Mundell (1961) besagt, dass in einem gemeinsamen Währungsraum die Geldpolitik nur dann wirksam ist, wenn alle Teile der Währungsunion einem gemeinsamen Konjunkturzyklus folgen. Ist hingegen z.B. der Süden in der Krise und der Norden im Boom, kann die Europäische Zentralbank bei der Festlegung des Leitzinses nur einem Durchschnitt bilden: Für den Süden ist der Zins dann zu hoch (was die Rezession verschärft), für den Norden ist er zu niedrig (was Inflationstendenzen begünstigt). In beiden Teilen der Währungsunion sind die Bürger mit der gemeinsamen Geldpolitik unzufrieden.

Mundell (1961) hat auch darauf verwiesen, dass ein solcher Konstruktionsfehler durch flexible Arbeitsmärkte geheilt werden kann. Wenn Arbeitskräfte von der Krisenregion in den wirtschaftlich florierenden Teil wandern, dann entsteht keine Arbeitslosigkeit. Wenn die Arbeitsmärkte zu unflexibel sind – was in Europa meist der Fall ist –, dann können nur die nationalen Finanzpolitiken die unterschiedlichen Konjunkturentwicklungen ausgleichen (De Grauwe 2014). Im kriselnden Süden müssen die Ausgaben steigen und im boomenden Norden gedrosselt werden, um das Funktionieren der gemeinsamen Geldpolitik sicher zu stellen.

Dies ist bei national weitgehend unabhängigen Finanzpolitiken durchaus möglich, wenn vor Eintritt der Krise die Budgetdefizite und Schuldenstände ausreichend klein sind. Leider ordneten sich seit Beginn der Währungsunion die nationalen Finanzpolitiken nicht den Notwendigkeiten der heterogenen Währungsunion unter, sondern verfolgten weiter nationale Ziele. Zudem war die Geldpolitik zu expansiv. Kurz nach Einführung des Euros war im Jahr 2000 weltweit die sogenannte Dotcom-Blase geplatzt. Die Europäische Zentralbank senkte die Leitzinsen auf ein damals historisches Tief, um die Finanzmärkte zu stabilisieren. Die billige Liquidität der Europäischen Zentralbank bildete den Nährboden für ein nicht nachhaltiges Kreditwachstum (siehe Hayek 1931 und Schnabl 2015), das aufgrund unkoordinierter nationaler Finanzpolitiken unterschiedlich über den gemeinsamen Währungsraum verteilt wurde. Man könnte auch von einem Wasserbetteffekt sprechen, die sich wie folgt übertrug.

Deutschland drückt das Wasser heraus: In Deutschland hatten sich Ende der 1990er Jahre Reformbemühungen verstärkt, nachdem die Wiedervereinigung nicht zuletzt wegen der stark angestiegen Arbeitslosigkeit die sozialen Sicherungssysteme an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gebracht hatte. Die Budgetdefizite und der Schuldenstand des öffentlichen Sektors drohten in Konflikt mit den von Deutschland selbst forcierten Maastricht-Kriterien zu geraten. Die rot-grüne Regierung Schröder schränkte deshalb beherzt Sozialleistungen und Staatsausgaben ein und setzte Anreize für eine private Alterssicherung (Riesterrente). Da die Arbeitsmärkte flexibilisiert wurden, wurde die Lohnzurückhaltung im öffentlichen Sektor von einer deutlichen Senkung der Lohnkosten in der Industrie begleitet. Da in Deutschland die Investitionen und das Wachstum der Staatsverschuldung stagnierten, waren die deutschen Banken mit wachsenden Einlagen konfrontiert, die im Inland auf keine entsprechende Kreditnachfrage trafen.

Im Süden steigt der Wasserstand plötzlich stark an: Die deutschen Banken exportierten die wachsenden deutschen Ersparnisse in andere Teile des gemeinsamen Währungsraums (und weit darüber hinaus, z.B. in den US-Hypothekenmarkt). Dort finanzierten die anschwellenden Kapitalzuflüsse übermäßiges Kreditwachstum, Lohnerhöhungen über Produktivitätsgewinne hinaus, überschwänglichen privaten Konsum sowie großzügige Staatsausgaben für Beamte, Rentner, Arbeitslose und tolle Bauprojekte. Es entstanden Konsum-, Immobilien- und Aktienmarktblasen. Die Preisniveaus stiegen an der Peripherie des Euroraums relativ zu Deutschland an, was die Wettbewerbsfähigkeit der späteren Krisenländer (Deutschlands) unterhöhlte (erhöhte). Wachsende Leistungsbilanzdefizite ließen die Auslandsverschuldungen der Peripheriestaaten steigen, was schließlich 2007/08 der Auslöser für die immer noch schwelende Krise war.

Immer noch hängen die damals von Überschwänglichkeit aufgeblähten Ausgabenverpflichtungen wie Mühlsteine am Hals der südlichen Euroländer. Nachdem die privaten Kapitalzuflüsse die Krisenländer verlassen haben, sind die Steuereinnahmen weggebrochen, die in der Phase der Euphorie zu den zusätzlichen Ausgaben verleitet haben. Es scheint aber nicht so, dass aus dem Konstruktionsfehler der Währungsunion kombiniert mit geld- und finanzpolitischen Fehlern Lehren gezogen wurden. Der folgenschwere Wasserbetteffekt hat sich vielmehr nur umgekehrt!

Die Europäische Zentralbank verfolgt eine noch expansivere Geldpolitik als vor der Krise, um die Zinsdienste der hoch verschuldeten Euro-Krisenstaaten erträglich zu halten. Das Potenzial für spekulative Übertreibungen auf Aktien- und Immobilienmärkten ist damit nur noch größer geworden. Doch dadurch, dass der verschärfte Stabilitätspakt die Krisenstaaten zu Ausgabenkürzungen zwingt, wird privates Kapital aus den Krisenländern herausgedrückt. Zudem stützt die Europäische Zentralbank mit nachsichtigen Krediten die wackeligen Bankensektoren der Krisenländer, so dass faule Kredite nicht bereinigt werden. Damit kann aber auch kein nachhaltiger Erholungsprozess im Süden einsetzen, so dass Kapital der Region fernbleibt.

Für Deutschland ist hingegen die noch expansivere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank viel zu expansiv. Das private deutsche Kapital ist ebenso wie privates Kapital aus den Krisenländern nach Deutschland zurückgeschwappt. In den Ballungszentren baut sich eine Immobilienblase auf. Da die sehr expansive Geldpolitik zudem den Wechselkurs des Euro schwächt, profitieren die deutschen Exportunternehmen. Diese werden darüber hinaus von der Europäischen Zentralbank mit sehr geringen Finanzierungskosten subventioniert. Die Aktienkurse der deutschen Industrieunternehmen sind deshalb immens nach oben geschossen. Der deutsche Finanzminister lässt sich von den durch den Boom stark steigenden Steuereinnahmen zu zusätzlichen Ausgaben bei Renten, Flüchtlingen, Beamten, Verteidigung, Kindergeld und öffentlichen Investitionen etc. verleiten. Das verstärkt die Immobilien- und Aktienmarktblase.

Für die deutschen Bürger bedeutet das alles nichts Gutes. Die versteckten Kosten der verklausulierten Rettungsprogramme sind bereits jetzt immens. Sie wachsen um so mehr, je mehr Anleihen die Europäische Zentralbank kauft. Die Kosten der Rettung werden über eine geringe Verzinsung der Ersparnisse auf die Bürger überwälzt. Außerdem liegt das Lohnniveau sehr viel niedriger, weil den Deutschen bis vor Kurzem trotz hohen Produktivitätsgewinnen reale Lohnerhöhungen verweigert worden waren. Schließlich wird eines Tages die Blase platzen, die derzeit für Lohnerhöhungen sorgt. Dann dürften reale Lohnsenkungen, negative Zinsen und neuen Kürzungen der Sozialleistungen auf die deutschen Bürger zukommen. Das könnte die Akzeptanz der gespaltenen Europäischen Währungsunion im dem Land weiter untergraben, das sie derzeit noch mit seinen Ersparnissen zusammenhält.

 

Literatur:

Hayek, Friedrich August von (1931): Preise und Produktion, Wien.

Mundell, Robert (1961): A Theory of Optimal Currency Areas. American Economic Review 51, 657-665.

De Grauwe, Paul (2014): Economics of Monetary Union. Oxford, Oxford University Press.

Schnabl, Gunther (2015): Die gefährliche Missachtung der Vermögenspreisinflation. Zur Wirkungslosigkeit von Inflationszielen als geldpolitische Regelmechanismen. Leviathan 43, 2, 246-269.http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2507729.

Schnabl, Gunther / Wollmershäuser, Timo (2013): Fiscal Divergence and Current Account Imbalances in Europe. CESifo Working Paper 4108. http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2220133

 

Die Forschungsplattform Nullzinspolitik und Wirtschaftliche Ordnung verbindet Wissenschaftler, die sich im Geiste der Arbeiten von Friedrich August von Hayek mit den Folgen fortschreitender monetärer Lockerung und wachsender Staatsverschuldung auf die wirtschaftliche Entwicklung und wirtschaftliche Ordnung in den Industrieländern und aufstrebenden Volkswirtschaften befassen. Ziel ist es, im Dialog untereinander und mit der interessierten Öffentlichkeit langfristige Lösungskonzepte für die derzeitige Krise zu erarbeiten.

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