Beiträge, Dr. Steffen Roth, Migration

„Integrationsarbeit“ – Ein Vorschlag zur Integration von Flüchtlingen

Von Steffen J. Roth vom 02. August 2016

In der Flüchtlingspolitik stand bisher die Frage im Vordergrund, wie die schiere Unterbringung und Registrierung der Menschen bewältigt werden kann. Die größte Herausforderung steht aber noch bevor. Ein großer Teil der Flüchtlinge wird dauerhaft bleiben oder zumindest vorübergehend geduldet werden. Die wenigsten werden einen schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Wenn wir in der Integrationspolitik keine neuen Wege gehen, werden Hunderttausende leistungsfähiger und leistungswilliger Menschen über Jahre hinweg Leistungen aus den Sozialsystemen beziehen, ohne sich selbst und der aufnehmenden Gemeinschaft helfen zu können.

Mit etwas gutem Willen, könnte der hier skizzierte Vorschlag der „Integrationsarbeit“ helfen. Sie kann allen arbeitsfähigen Flüchtlingen angetragen werden, bietet eine breite Palette von Tätigkeiten und erschließt ihnen unmittelbar sinnstiftende und integrationsfördernde Arbeit im Dienste der sie aufnehmenden Gemeinschaft.

Ein Gedankenexperiment
Die zugrundeliegende Idee soll zunächst anhand eines Gedankenexperiments verdeutlicht werden: Nehmen wir an, ein Flüchtling erfährt die Hilfsbereitschaft einer Anwohnerin seiner Unterkunft, die ihn ehrenamtlich bei Behördengängen und beim Erwerb der deutschen Sprache unterstützt. Nehmen wir weiterhin an, dieser Flüchtling würde bei einem Spaziergang bemerken, wie sich ebenjene hilfsbereite Person mit schweren Einkaufstaschen abmüht. Er entscheidet ohne zu zögern, der Frau zu helfen, und bringt ihren Einkauf nach Hause. Sie bedankt sich freundlich, bietet ihm einen Tee an, man unterhält sich. Im Gespräch erfährt der Flüchtling, dass es der Frau schwerfällt, den Rasen zu mähen. Er bietet an, diese Arbeit zu übernehmen. Die Frau willigt ein und freut sich zu beobachten, wie emsig der junge Mann die Aufgabe erledigt. Bei der Verabschiedung drückt ihm die Frau zehn Euro in die Hand. Der junge Mann lehnt höflich ab. Schließlich wollte er sich für die zuvor erfahrene Hilfsbereitschaft erkenntlich zeigen. Die Frau wiederum will die Tatkraft des jungen Mannes nicht ausnutzen. Die beiden einigen sich schließlich darauf, dass die Frau die zehn Euro dem Flüchtlingsnetzwerk vor Ort spenden wird.

Diese Geschichte kommt vermutlich vielen märchenhaft vor. Aber es scheint doch immerhin eine schöne Geschichte zu sein. Ein unromantisch-kritischer Geist wird jedoch mahnend auf eventuelle unerwünschte gesellschaftliche Folgen aufmerksam machen: Welche Folgen hat es, wenn der Flüchtling der Frau beim Einkauf oder Rasenmähen hilft? Schließlich bietet der örtliche Supermarkt einen kostenpflichtigen Heimlieferservice an. Vom Angebot kommerzieller Gärtner ganz zu schweigen. Wie kommt der junge Mann auf den Gedanken, für die Frau zu arbeiten? Schließlich lebt er von den Transfers, die alle Steuerzahler finanzieren.

In der Tat stehen dem zunächst begrüßenswert erscheinenden Arrangement massive Bedenken gegenüber. Die zur Integration der Flüchtlinge etablierten Arbeitsgelegenheiten (Ein-Euro-Job) begegnen solchen Befürchtungen durch institutionelle Beschränkungen und erschließen den Teilnehmern nur zusätzliche und gemeinnützige Arbeit. Da es sich weder um Beschäftigungsverhältnisse im Sinne der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung handelt noch um ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts, verhindern weder hohe Versicherungsbeiträge noch ausländerrechtliche Beschränkungen der Erwerbstätigkeit oder der gesetzliche Mindestlohn den Einsatz von Flüchtlingen. Hinter den harmlos anmutenden Begriffen der Zusätzlichkeit und der Gemeinnützigkeit verbergen sich aber in der Praxis Fallstricke, die einen massenhaften, sinnstiftenden und kostenneutralen oder gar kostensparenden Einsatz verhindern.

„Zusätzlichkeit“ und „Gemeinnützigkeit“
Das Zusätzlichkeitserfordernis soll die Verdrängung regulärer Beschäftigung verhindern. Als zusätzlich gilt eine Tätigkeit daher strenggenommen dann, wenn die zu leistende Arbeit sonst nicht verrichtet werden würde. Solche Maßnahmen sind offenkundig nicht dringend nachgefragte, relativ überflüssige, womöglich sogar unsinnige Tätigkeiten. Der Gesetzgeber erlaubt daher auch solche Tätigkeiten, die zwar eventuell irgendwann auch ohnedies in Angriff genommen würden, jedoch nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt. Aus ökonomischer Perspektive erscheint eine so definierte Zusätzlichkeit wie ein systematisches Verbot produktiver Einsätze. Zusätzlich im volkswirtschaftlichen Sinne wäre eigentlich jede Arbeitsleistung, die der Gesellschaft einen höheren Nutzen stiftet, als sie an Kosten verursacht und andernfalls nicht erbracht würde. Solange die Teilnehmer in den Maßnahmen kein Arbeitsentgelt erhalten, sondern weiterhin von den Transferbezügen leben, auf die sie ohnehin einen Anspruch haben, gilt: Je produktiver die Teilnehmer in ihrer Tätigkeit sind, desto höher der Zusatznutzen für die Gemeinschaft. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht verdrängen die Maßnahmenteilnehmer keine reguläre Beschäftigung, sie ermöglichen zusätzliche Leistungen. Spart die Kommune bei den Kosten für die Grünflächenpflege, kann sie mit den frei gewordenen Mitteln Klassenräume renovieren lassen oder Ferienfreizeiten für bedürftige Kinder und Jugendliche organisieren.

Das gesetzlich verankerte Kriterium der Gemeinnützigkeit oder des öffentlichen Interesses soll verhindern, dass der Einsatz von Maßnahmenteilnehmern Privatpersonen zugutekommt statt der ganzen Gemeinschaft. Operationalisiert wird dieser richtige Grundsatz durch eine Beschränkung der zulässigen Auftraggeber: Arbeitsgelegenheiten dürfen nur bei staatlichen, bei kommunalen und bei steuerrechtlich gemeinnützigen Trägern angesiedelt werden. Flüchtlinge dürfen bei Altenpflegeeinrichtungen und Krankenhäusern in karitativer Trägerschaft arbeiten, nicht aber bei deren privatrechtlichen Konkurrenten. Sie dürfen den städtischen Bauhof unterstützen, nicht aber die Privatfirmen, die kommunale Aufträge ausführen.

Aus ökonomischer Perspektive wirkt eine solche Beschränkung der Auftraggeber wettbewerbsverzerrend und wie ein systematisches Verbot der Nutzung vorhandener Fähigkeiten und Talente aufseiten der Maßnahmeteilnehmer. Und es offenbart ein erstaunlich naives Verständnis vom Nutzen einer Leistung. In einer wettbewerblich und arbeitsteilig organisierten Wirtschaftsordnung wird der Nutzen einer Arbeitsleistung gewöhnlich zwischen allen an der Produktion und dem Konsum beteiligten Akteuren aufgeteilt, die Konzentration auf den Arbeitgeber ist also höchst irritierend. Gemeinnützig im volkswirtschaftlichen Sinne wäre jede Maßnahme, die den Kommunen, Ländern oder dem Bund Mittel zuführt oder Ausgaben erspart.

Risiken und Nebenwirkungen sind vermeidbar
Dem Grundsatz nach ist also jede Tätigkeit von Flüchtlingen zusätzlich, wenn diese andernfalls untätig blieben. Jeder Arbeitseinsatz nützt der Gemeinschaft, wenn dieser die erzielten Ersparnisse oder Einnahmen zugutekommen. Theoretisch kommt eine Vermittlung der Flüchtlinge in die unterschiedlichsten Einsätze in Frage. Eine kommunale Vermittlungsstelle kann die Teilnehmer in Arbeitseinsätze
vermitteln, in denen deren unterschiedlichen Fähigkeiten, Erfahrungen und Eignungen Rechnung getragen wird. Die für die Arbeit der Teilnehmer bestehende Zahlungsbereitschaft der Auftraggeber fließt als Entleihgebühr an die Kommune. Die Flüchtlinge erlangen durch ihre Einsätze in der Integrationsarbeit Fähigkeiten, die ihnen bei einer späteren Eingliederung in den regulären Arbeitsmarkt behilflich sein können. So lernen sie, sich in der hiesigen Arbeitswelt zurechtzufinden, lernen typische Arbeitsweisen und übliche Anforderungen kennen. Nebenbei verbessern sie im Kontakt mit deutschen Kollegen und Auftraggebern ihre Sprachkenntnisse. Zudem knüpfen sie soziale Kontakte außerhalb der Flüchtlingsgruppe und beginnen so, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Vor allem aber erhalten sie die Möglichkeit, die zermürbende und lähmende Zeit des untätigen Abwartens zu beenden. Den meisten Menschen wohnt ein Schaffensdrang inne, der ihnen Motivation genug ist, einer erkennbar sinnvollen Tätigkeit nachzugehen, die ihnen Anerkennung und Selbstbewusstsein erschließt. Zudem mögen viele Flüchtlinge den Wunsch haben, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, die ihnen einen Neuanfang ohne Angst um Leib und Leben ermöglicht.

Die Gegebenheiten in den Kommunen sind lokal sehr unterschiedlich. Daher sollten die Kommunen möglichst freie Hand haben, wie sie die Integrationsarbeit konkret umsetzen. Die Akteure vor Ort werden dabei mit Augenmaß vorgehen und erkennbare Beeinträchtigungen etablierter Unternehmen vor Ort genauso vermeiden wie wiederholte Arbeitseinsätze bei denselben Auftraggebern gegen zu geringe Verleihgebühren. Außerdem kann überlegt werden, allen Bürgern vor Ort ein Vetorecht gegen konkrete Arbeitseinsätze einzuräumen, sofern sie ein unmittelbares Eigeninteresse geltend machen können. Des Weiteren kann vor Ort darüber entschieden werden, ob die Teilnehmer zusätzliche Anreize in Form von Zertifikaten zur Dokumentation ihrer Tätigkeiten sowie privilegierten oder über Bildungsgutscheine subventionierten Zugang zu weiterführenden Sprachkursen erhalten. Es kann vor Ort entschieden werden, ob man den Flüchtlingen die Integrationsarbeit auf freiwilliger Basis anbietet oder sie – falls ausreichend Arbeitseinsätze organisiert werden können – verpflichtend einsetzt.

Wesentlich zur Umsetzung der Integrationsarbeit erscheint es lediglich, die Kriterien der Gemeinnützigkeit und der Zusätzlichkeit gesamtwirtschaftlich sinnvoll zu definieren sowie dafür Sorge zu tragen, dass kein Arbeitseinsatz der Flüchtlinge die Gemeinschaft mehr kostet, als er an Ersparnissen oder Einnahmen erwarten lässt.

Ordnungspolitischer Kommentar des IWP – Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln

 

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