Marktwirtschaft, Prof. Dr. Gerd Habermann

Nicht jeder kann Minister oder Unternehmensführer oder Fußballstar werden. Ansehen, Positionen, Vorrang sind begehrt – wie die meisten materiellen Güter und die Lebenszeit. Daraus ergibt sich  zwangsläufig ein Wettbewerb, der sich wohl moralisch und gesetzlich regulieren, aber niemals ausschalten lässt.

Wer Wettbewerb als unmoralisch oder unsolidarisch, gar „diskriminierend“ schilt, sollte sich klarmachen, dass er die Lebensquelle der Evolution ist – in der Kultur nicht weniger als in der Natur. Er herrscht zwischen Individuen und Gruppen, zwischen Regeln und Institutionen, zwischen Lebensfomen, Religionen, Idealen und Werten, Sprachen, Währungen und Organisationsformen. Wettbewerb ist nicht nur das Leben des Geschäfts, sondern auch das zentrale Geschäft des Lebens.

 

Wettbewerb ausschalten? Das ist zum Scheitern verurteilt

Ausgehend von jenem Missverhältnis zwischen unseren Wünschen und der Knappheit an Mitteln und Zeit hat der Wettbewerb jene Spezialisierung, Vielfalt und komplexe Ordnung hervorgebracht, die Basis unseres Überlebens und unseres Wohlstandes ist.

Wettbewerb in Wirtschaft und Gesellschaft nicht nur durch Sitte, Gesetz und Moral regulieren, sondern im Interesse von Gleichheit, „sozialer Gerechtigkeit“, „Nichtdiskriminierung“ und anderem ausschalten zu wollen, ist ein Unterfangen, das – wie die sozialistischen Experimente zeigten und täglich wieder zeigen – zum Scheitern verurteilt ist. Man schafft dadurch nur neue und schroffere Ungleichheiten und untergräbt die Basis von Wirtschaft, Kulturleben und sozialen Zusammenhangs.

In fortgeschrittenen Gesellschaften geht es seit Langem schon nicht mehr um den „struggle for life“ („Mein Brot, dein Tod“), um das nackte physische Überleben, sondern nur um den Vorrang, die Lebensposition. Niemals hatten es auch die „sozial Schwachen“ so gut wie heute. Auch der „ewige Landfrieden“ ist staatsintern grundsätzlich gesichert. Die „Starken“ können nicht beliebig über die
Schwächeren herfahren.

Dieser Wettbewerb ist immer da: zwischen Gruppen und innerhalb von Gruppen, zwischen und innerhalb von Unternehmen, Behörden und Haushalten – und er geht selbst innerhalb jedes einzelnen vor sich: als Wettbewerb widerstreitender Präferenzen und Motive.

 

Der Gegenpol zum Wettbewerb ist das Monopol

Unter kulturellen Verhältnissen werden Gruppen, die zur Regelung ihrer sozialen Beziehungen auf rohe Gewalt setzen, kaum die Oberhand gewinnen. Erfolgreich werden vielmehr jene sein, die inneren Zusammenhang und gegenseitiges Vertrauen („Sozialkapital“) mit größter arbeitsteiliger Differenzierung verbinden. Im kulturellen und ökonomischen Wettbewerb sind kulturelle  Hervorbringungen entscheidend. Privateigentum, Familie und Tauschwirtschaft haben sich als erfolgreichste Institutionen ergeben, wie der größere Erfolg der Gruppen beweist, die sie praktizieren.

Wettbewerb fördert in Gestalt der Marktwirtschaft – des „Kapitalismus“ – die Zivilisierung, ja, die Moralisierung der Gesellschaft. Der Gegenpol zum Wettbewerb ist nicht Nächstenliebe, sondern das
Monopol.

Nur durch den gewaltlosen Dienst am Nächsten, im Vertragswege, kann sich der Einzelne vorwärtsbringen, nicht durch Gewalt oder Betrug. Der freie Tausch liegt im gegenseitigen Vorteil, sonst würde er nicht zustande kommen.

Der Markt ist in diesem Sinn eine moralische Anstalt, er zivilisiert die Menschen. Er belohnt Selbstdisziplin, Vertragstreue, Aufmerksamkeit, Fleiß. Auch die größten Unternehmen sind letztlich abhängig vom täglichen Plebiszit der Märkte über ihre Produkte und Dienstleistungen.

 

Feinfühlige Konkurrenz

„Der Konkurrenz gelingt unzählige Male, was sonst nur der Liebe gelingt: das
Ausspähen der innersten Wünsche eines anderen, bevor sie ihm noch selbst bewußt geworden sind“, schreibt der große Soziologe Georg Simmel in seiner „Soziologie“.
Und weiter: „Die antagonistische Spannung gegen den Konkurrenten schärft bei dem Kaufmann die Feinfühligkeit für die Neigung des Publikums bis zu einem fast hellseherischen Instinkt für die bevorstehenden Wandlungen seines Geschmacks, seiner Moden, seiner Interessen.“

Die lieblose, kundenverachtende Haltung von Monopolen ist nur zu gut aus der Geschichte von Post, Bahn oder Rundfunk bekannt. Natürlich auch von Behörden. Als der Wunsch des Bürgers nach einem Telefonanschluss nicht mehr von der Post gnädig als „Antrag“ entgegengenommen, sondern als „Auftrag“ aufgefasst wurde, fiel dieser Punkt besonders auf.

Oder nehmen wir das Zuweisen von Sitzplätzen in Gaststätten in den USA und der früheren DDR: In den USA ist dies eine nützliche Dienstleistung, in der früheren DDR war es ein Machtinstrument.

 

Wettbewerb dient der Entdeckung

Besonders Friedrich August von Hayek hat die Funktion des Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren von Wissen beschrieben, als „Verfahren zur Entdeckung von Tatsachen, die ohne sein Bestehen
entweder unbekannt bleiben oder doch zumindest nicht genutzt werden würden.“

Wer was am besten kann, am besten weiß – dies zeigen nicht nur der Sport oder Prüfungen, sondern auch der Markt: Wer das richtige Produkt, die beste Methode, den richtigen Standort zur richtigen Zeit kennt, kann nur schließlich Erfolg zeigen. „Es ist eine Hauptaufgabe des Wettbewerbs zu zeigen, welche Pläne falsch sind“, sagt Hayek.

Moderne Gesellschaften können sich sogar einen Wohlfahrtsstaat erlauben. Nie ging es den im Wettbewerb Zurückgebliebenen (oder auch den Faulen) so gut wie heute.

„Solidarität“ mit der Pistole auf der Brust?

Erzeugt eine gesunde Wettbewerbsgesellschaft „soziale Kälte“? Das Gegenteil ist der Fall: Wo der Staat das Soziale bei seinen Behörden monopolisiert, wird die spontane Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe geschwächt.

Was private Wohltätigkeit hervorbringt, zeigen musterhaft die USA oder das frühere Deutschland im 19. Jahrhundert, bevor Bismarck mit dem modernen Wohlfahrtsstaat begann. Die Sozialisierung des Sozialen wird gerade zur Quelle der beklagten „sozialen Kälte“.

Eine anonyme Bürokratie kann nie „sozial warm“ sein, Liebe lässt sich nicht bürokratisieren. „Solidarität“ ist gewiss von moralischem Wert, sofern sie auf Freiwilligkeit beruht. Wer mit der Pistole auf der Brust dazu gezwungen wird und wer ihn dazu zwingt, ihm persönlich meist unbekannten Menschen zu helfen („Fernstenliebe“), dessen moralische Standards können niedrig sein. Die großzügige Verteilung von sozialen Wohltaten auf Kosten wehrloser Dritter seitens der Regierungen,  die darin ihren eigenen Vorteil finden, hat mit Moral wenig zu tun – oder es ist, wie der hl. Augustinus einmal schrieb, die Moral einer Räuberbande.

Auch in der Politik sollte es gesunden Wettbewerb geben

Vergessen wir nicht die Funktion des gesunden Wettbewerbs als ein „Entmachtungsinstrument“ (Franz Böhm) – im Gegensatz zum Monopol, welches die Macht konzentriert und ihren Missbrauch
und Übermut ermöglicht. Dies gilt wirtschaftlich wie auch politisch. Auch in der Politik – und der EU – sollte
der Wettbewerb regieren, zwischen und innerhalb von Staaten, in Föderalismus und kommunaler Selbstregierung.

In einem zentralisierten Wohlfahrtsstaat ohne starke Eigentumsrechte der Bürger kann der Wettbewerb der Parteipolitiker um Wiederwahl und Pfründe leicht zum Niedergang eines Gemeinwesens
führen. Es folgen Staatsbankrott, Inflation, Wirtschaftskrisen, soziale Desintegration, wie Hans Herrmann Hoppe und andere drastisch gezeigt haben.

Unser derzeitiger Wohlfahrts-Polizeistaat unterliegt natürlich auch dem Wettbewerb – und da sieht seine Bilanz nicht eben günstig aus.

Zur Bilanz zählen Schulden wie in Kriegszeiten, furchtbare Bürokratisierung, wachsende Staatsquoten, Gefährdung des Geldes, Gefährdung des Eigentums durch Fiskalsozialismus – Steuersätze zwischen 30 und 50 Prozent gelten mittlerweile als normal. Doch jeden zweiten oder dritten Euro an den Staat abzuführen, ist real betrachtet eine Form von Enteignung.

Zur Bilanz zählen auch die Demoralisierung der Gesellschaft durch Sozialismus, kollektivierende Familienpolitik („Verstaatlichung der Kindheit“) – mit alldem eine Auszehrung auch des „biologischen
Kapitals“ (negative, demografische Entwicklung) und eine realitätswidrige egalitäre Ideologie – der um sich greifende Kulturmarxismus – das gibt unserer Gesellschaft keine guten Prognosen.
Wir haben zunehmend die falschen wettbewerbsfeindlichen Ideale und Leidenschaften. Das fordert seinen Preis.

Jeder ist der „Unternehmer seines Lebens“

Wichtig ist, in einer Zivilgesellschaft eine Ethik zu lehren – oder wieder zu lehren – die der herausragenden Bedeutung des Wettbewerbs Rechnung trägt. Dem Bürger müssen im Privatleben und namentlich in Bildungseinrichtungen auch „agonale“ Tugenden gelehrt werden. Ihm sollten nicht Ansprüche auf Staatsleistungen und soziale Grundrechte oder gesellschaftsfeindliche  gleichmacherische Ideale eingeredet, sondern wettbewerbsfreundliche Ideale im Sinne von Selbstverantwortung, Subsidiarität, Eigeninitiative und die dazugehörigen zivilen Kardinaltugenden nahegelegt werden. „Wenn du eine hilfreiche Hand brauchst, so suche sie am Ende deines Arms.“

Der Wettbewerb hält für jeden seine Nische bereit und er schafft auch für Jene ausreichende Mittel, die sich nicht selber helfen können. Nur der Wettbewerb kann lehren, diese persönliche Nische zu entdecken. So ist der Wettbewerb auch eine Selbstfindungs- und Selbstentdeckungsmethode. Darin liegt ein zusätzlicher ästhetischer Reiz.

Wettbewerb fördert die Ausbildung von Persönlichkeiten, wie sie Wilhelm von Humboldt in seiner berühmten Jugendschrift über die Grenzen der Staatstätigkeit beschrieben hat: Der selbstsichere Menschentyp, der sich in der „Mannigfaltigkeit der  Lebenssituationen“ und Herausforderungen aus eigener Kraft und mit anderen zusammen in freien gemeinschaftlichen Verbindungen bewähren muss. Hier wird jedermann zum „Unternehmer seines Lebens“ und jeder auch zum Mitarbeiter am Wohl seines Nächsten durch gegenseitige Dienste.

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