Prof. Dr. Erich Weede

Nach Friedrich August von Hayek ist der Wettbewerb ein Entdeckungsverfahren. Diesem Wettbewerb verdanken wir Innovation, bessere und preiswertere Produkte. Mindestens so wichtig wie der Wettbewerb unter Unternehmen ist der Standortwettbewerb unter politischen Einheiten, zwischen Städten, Kantonen oder Bundesländern, zwischen Staaten und Staatenbünden (wie der EU). Dieser Standortwettbewerb macht Fehlentscheidungen besser sichtbar und damit schneller korrigierbar. Standortwettbewerb ist notwendig, weil Menschen und damit Regierungen Fehler machen. Diese Fehler können viel verheerender sein als unternehmerische Fehlentscheidungen. Denn die Machthaber in politischen Einheiten können sich gegen die Zumutung, Fehler zuzugeben bzw. dazu zu lernen, besser wehren als Unternehmer, die dem Risiko ausgesetzt sind bankrott zu gehen.

 

Dem seit Jahrhunderten bestehenden Standortwettbewerb unter den politischen Einheiten Europas, man könnte auch sagen der Uneinigkeit Europas, verdanken wir die frühere Respektierung des Privateigentums von Unternehmern durch die Herrschenden als in den großen asiatischen Zivilisationen, damit die Domestikation des Staates, die Erfindung des Kapitalismus bzw. ein Wachstum von Europas führenden Volkswirtschaften ungefähr um den Faktor 30 in ca. 150 Jahren. Auch China verdankt sein schnelles Wachstum in den letzten 40 Jahren dem Standortwettbewerb erstens mit den vier kleinen ostasiatischen Tigern und zweitens dem Wettbewerb unter Städten, Bezirken und Provinzen, der sogar kommunistische Kader gezwungen hat, zumindest so zu tun, als ob sie das Privateigentum von Unternehmern und deren Freiheit achten wollten. Ohne Standortwettbewerb und damit Exit-Optionen für Menschen, ob Denker oder Unternehmer, ist weder die Erhaltung der politischen, noch die der wirtschaftlichen Freiheit vorstellbar. Ohne Standortwettbewerb reichen rechtliche Schranken nicht aus, um die politische Macht einzuhegen. Die schleichende Einführung der Transferunion bzw. der Abbau der wirtschaftlichen Freiheit in der EU zeigt das eindrucksvoll.

 

Wettbewerb ist immer gut für die Abnehmer oder Konsumenten, aber schlecht für die Produzenten. Jeder möchte vom Wettbewerb der Anderen profitieren, aber selbst vom Wettbewerb verschont bleiben. Das gilt nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Regierungen auf jeder politischen Ebene. Während der Wettbewerb als ein Kollektivgut mit den üblichen Anreizen zur Beitragsverweigerung oder zum Trittbrettfahren aufgefasst werden kann, bringt der Wettbewerbsschutz oder Protektionismus den begünstigten Unternehmen oder Ämtern sofort handfeste Vorteile. Politisches Handeln dient deshalb oft dem Schutz vor Wettbewerb statt der Erhaltung des Wettbewerbs. Während der europäische Binnenmarkt den Wettbewerb unter den europäischen Unternehmen verschärft, kann die politische Kooperation unter den Mitgliedstaaten in der EU durchaus dazu dienen, den Standortwettbewerb unter den Mitgliedstaaten zu schwächen. Die Angleichung der Zinsen europäischer Staatsanleihen durch die gemeinsame Währung, den Euro, ist ein Beispiel dafür.

 

Wirtschaftliche Freiheit und die EU

 

Die jüngsten Economic Freedom Ratings erlauben es, die Positionen Deutschlands oder der Schweiz im Standortwettbewerb zu beurteilen. Beim Fraser Institute steht Deutschland auf Platz 22 von 165. Hongkong und Singapur stehen dort auf den ersten Plätzen, aber die Schweiz zeigt mit Platz 4, dass auch Mitteleuropäer gute Plätze einnehmen können. Vor Deutschland liegen auch noch wichtige andere Konkurrenten auf dem Weltmarkt, wie die USA, Großbritannien und Japan. Um ein Gefühl für die Zuverlässigkeit der Ratings zu bekommen, kann man sich zusätzlich die der Heritage Foundation ansehen, wo Deutschland auf Platz 16 von 177 liegt und die Schweiz auf Platz 2. Auch dieser deutsche Wert ist enttäuschend. Sieht man sich die Komponenten des Indexes an, ist Deutschland beim Eigentumsschutz besonders gut und beim Ausmaß der Regierungstätigkeit (Steuern, Subventionen, Transfers) besonders wenig freiheitlich. Beunruhigend ist der Trend. 1980 lag Deutschland noch auf Platz 6 (bei Fraser). Deutschland schlittert langsam aber sicher Richtung Planwirtschaft, während die Schweiz widerstandsfähig ist.

 

Tendenziell wird immer mehr Macht von Berlin nach Brüssel verlagert. Neben Deutschland ist dort Frankreich besonders einflussreich. Das erreicht (bei Fraser) einen bescheidenen Platz 53, noch nach Italien mit Platz 47. Weil zwei der drei größten Volkswirtschaften der EU noch weniger freiheitlich als Deutschland sind, sind aus Brüssel kaum freiheitliche Impulse zu erwarten. Das freiheitlichere Großbritannien (Platz 12, bei Heritage Platz 24) hat die EU verlassen. Die EU hat wenig getan, um Großbritannien zu halten. Aber um Griechenland mit Freiheitsplatz 78 zu halten, hat die EU – vielleicht am Rande des geltenden Rechts, nach Frau Lagarde sogar jenseits davon – den Weg in die Transferunion begonnen. Seit dem Ausscheiden Großbritanniens steht die EU immer weniger für wirtschaftliche Freiheit. Kein Wunder dass der Freiheitsabstand zwischen der Schweiz und Deutschland immer größer wird. Zwar ist die Schweiz über bilaterale Verträge mit der EU verbunden, aber die Schweiz hat zweifellos mehr ordnungspolitische Souveränität als Deutschland. Außerdem profitiert die Schweiz noch vom kantonalen Standortwettbewerb, während in Deutschland die Besteuerung weitgehend einheitlich ist und der Standortwettbewerb zwischen den Bundesländern deshalb schwach ausfällt.

 

Humankapital und Migration

 

Als dicht besiedelte Industrieländer mit wenigen Bodenschätzen können Deutschland und die Schweiz nur von ihrem Humankapital gut leben. Die Zeiten, in denen in Deutschland arbeitende Deutsche viele Nobelpreise in den Naturwissenschaften holten, sind lange vorbei. Ab und zu holen noch Leute, die aus Deutschland in die USA gegangen sind, solche Preise. Das deutet ein Problem an, Talent im Lande zu halten. Bei Tests in Mathematik und Naturwissenschaften besetzen weder deutsche noch schweizerische, sondern ostasiatische Schüler die Spitzenplätze. Wie der amerikanische Ökonom Garrett Jones in seinem Buch HIVE MIND erkannt hat, hängt der Lebensstandard der Menschen noch stärker von der Humankapitalausstattung bzw. dem IQ der Mitbürger als vom eigenen ab. Auch die Wachstumsaussichten hängen stark von der Humankapitalausstattung eines Landes ab.

 

Ohne es wissen zu wollen, betreibt Deutschland eine Migrationspolitik, die die Humankapitalausstattung verschlechtert. Ein reicher Sozialstaat mit recht offenen Grenzen für Flüchtlinge und Asylanten aus armen Ländern mit meist schlechten Ausbildungsstätten zieht nicht künftige Leistungsträger und große Steuerzahler sondern Leistungsempfänger an. Weil die Transfers an die Flüchtlinge  – es gibt eine Schätzung, wonach eine Million solcher Migranten zwischen 450 und 900 Milliarden Euro in ihrer Lebenszeit kosten könnten – letztlich von den Leistungsträgern erwirtschaftet werden müssen, entstehen für die Auswanderungsanreize, in Deutschland beispielsweise Richtung Schweiz oder USA. Man kann aus humanitären Gründen offene Grenzen verteidigen, sollte aber zugeben, dass damit die Heimat zum Niedergang verurteilt wird.

 

Denkbar wäre eine andere Politik. In dem Buch UNCOMMON SENSE hat der hohe amerikanische Richter Richard Posner Intelligenztests und der Nobelpreisträger Gary Becker Zahlungen der Zuwanderer als Zugangsschranken vorgeschlagen. Beides würde die Humankapitalausstattung verbessern.

 

Weder Deutschland noch die Schweiz setzen derartige Vorschläge um. Aber klassische Einwanderungsländer, wie Australien und Kanada, schaffen es, dass die Zuwanderer noch besser als die gut ausgebildete einheimische Bevölkerung qualifiziert sind. Als für Zuwanderer aus den Nachbarländern attraktive Länder schaffen die Schweiz oder Großbritannien das auch, ganz im Gegensatz zu Deutschland, aber auch den EU-Ländern Niederlande, Belgien, Frankreich, Spanien und Italien. Im deutschen Falle spielt sicher die Geschichte – vor allen die Judenvernichtung und allgemein der Rassismus im dritten Reich – und das daraus resultierende schlechte Gewissen eine Rolle bei der Zuwanderungspolitik. Allerdings führt die in Deutschland praktizierte Zuwanderungspolitik der offenen Tür zu einer Zunahme des Anteils der Muslime an der Bevölkerung, von denen manche ihre eigene Variante des Antisemitismus mit ins Land bringen.

 

Von Australien abgesehen hat die Zuwanderungspolitik der meisten westlichen Länder zumindest zeitweilig eine humanitäre Komponente gehabt. Die damit verbundene zunehmende ethnische und religiöse Heterogenität könnte sich vor allem in wirtschaftlichen Krisenzeiten noch als Belastung der politischen Stabilität erweisen. Bisher hat man den Eindruck, dass Prosperität und Homogenität politische Stabilität fördern, folglich die Zuwanderung nicht beide Determinanten politischer Stabilität gleichzeitig reduzieren sollte. Auch was die Zuwanderung angeht schneidet die Schweiz beim Standortwettbewerb besser als Deutschland ab, vermutlich weil in der Schweiz die Verfolgung nationaler Interessen als legitim gilt. Außerdem hat die Schweiz als sprachlich heterogenes Land schon lange das friedliche Zusammenleben bei einem gewissen Ausmaß kultureller Heterogenität praktiziert. Dabei ist zu bedenken, dass alle in der Schweiz heimischen Sprachgruppen zur westlichen Zivilisation gehören. Deutschland dagegen hat sich in wenigen Jahrzehnten von einem sehr homogenen zu einem kulturell recht heterogenen Land entwickelt. Ob das gut geht, bleibt abzuwarten.

 

Erich Weede

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