Ralph Sebastian Bärligea

 

Die Staaten der westlichen Industrienationen gleiten immer mehr in den Sozialismus ab. Objektiv gemessen werden kann das an der Staatsquote, dem Anteil am Bruttoinlandsprodukt, dass über Konsum und Investitionen des Staates generiert wird. Veröffentlicht wird diese Quote von den statistischen Ämtern der Staaten selbst. Liegt diese Quote über 50 %, werden laut Selbstauskunft des betroffenen Staates mehr Investitionen und Konsum der gesamten Volkswirtschaft über den Staatssektor generiert als über den Privatsektor. Man kann dann objektiv belegt durch statistische Zahlen von einem überwiegend sozialistischen beziehungsweise planwirtschaftlich gelenkten System sprechen. Im Corona-Jahr 2020 ist nun die Staatsquote tatsächlich von 45,2 Prozent im Vorjahr 2019 auf 51,3 Prozent gestiegen, womit sich Deutschland jetzt objektiv gemessen in einem überwiegend planwirtschaftlichen System befindet. „Bei einer Staatsquote von über 50 Prozent beginnt der Sozialismus“, soll Altkanzler Helmut Kohl einmal gewarnt haben.

 

Es gibt einige gute Argumente, dass eine Staatsquote über 50 Prozent nicht schädlich wäre.

Auf der Seite Steuermythen.de werden diese Argumente recht anschaulich aufgeführt. Etwa, dass viel Geld über Sozialleistungen und Leistungen des Staates wie Schulen und Straßen wieder zurück an die Menschen flösse. Wer einmal selbst um einen Schul-, Kindergarten- oder Krippenplatz für seine Kinder oder einen Pflegeplatz für einen kranken, behinderten oder älteren Angehörigen gekämpft hat, weiß um die Ironie, die in dieser Aussage steckt. Denn Sozialleistungen zu beantragen ist kein Zuckerschlecken. Der Anspruch an Administration, Dokumentation und geistiger und zeitliche Präsenz ist in der Regel so hoch, dass gefühlt nur arbeitslose Akademiker oder kriminelle Klans damit zurechtkommen. Die wirklich Hilfsbedürftigen bleiben oft auf der Strecke. Wer beispielsweise mit Obdachlosen und Kranken auf der Straße redet, der begegnet nicht nur der Gruppe, die dieses Schicksal als frei gewählte Asketen selbst gewählt haben. Viele leben so, weil sie die bürokratischen Hürden, Sozialleistungen zu beantragen, die ihnen zwar theoretisch rechtlich zustehen, praktisch schon allein in Ermangelung einer festen Adresse oder der nötigen bürokratischen Kenntnisse nicht mehr meistern können. Dass eine möglichst hohe Staatsquote zwangsläufig zu mehr Menschlichkeit, Solidarität und Gerechtigkeit führt, wie linke Politiker und Wähler annehmen, ist also keineswegs zwangsläufig der Fall.

 

Fakt bleibt, die über die Staatsquote verteilten Mittel werden planwirtschaftlich gelenkt.

Die Mittelverwendung wird dann nicht mehr durch individuelle und freie Konsum- und Investitionsentscheidungen der einzelnen Menschen gesteuert. Die Preissignale des freien Marktes fungieren als Indikatoren für die Knappheit der Ressourcen und die Dringlichkeit der Bedürfnisse der Menschen. Sind Preise für Güter hoch, sind diese Güter besonders knapp oder besonders gefragt. Die Anstrengungen aller Marktteilnehmer richten sich dann darauf, besonders sparsam mit diesen Gütern umzugehen und um Gewinne zu erzielen, nach Wegen zu suchen, diese Güter kostengünstiger zu produzieren und bereitzustellen. Jedes Individuum wird durch diese Preissignale angeregt, entsprechend optimal in eigener Selbstverantwortung unter Nutzung des individuellen Wissens und Gewissens mit diesen Gütern zu wirtschaften. Wird diese Steuerungsmechanismus durch die freie Preisbildung auf dem Markt jedoch überwiegend ausgeschaltet, indem die Staatsquote auf über 50 % erhöht wird, kommt das effektive und effiziente Allokationssystem des Marktes außer Kontrolle. Konsum und Investitionen laufen aus dem Ruder und orientieren sich nicht mehr an der Dringlichkeit der Bedürfnisse jedes einzelnen Menschen und der realen Knappheit der Ressourcen, sondern werden durch das Gewaltmonopol des Staates zentral nach dem Willen der Regierung erzwungen.

 

Die planwirtschaftliche Güterallokation kann die des freien Marktes nicht ersetzen.

Zwar ist diese Regierung demokratisch gewählt, doch sie bleibt sehr weit von der Lebensrealität der Menschen – ihrer Bedürfnisse und Möglichkeiten – entfernt. Vom Volk gewählte Abgeordnete wählen eine Regierung und diese agiert dann für vier Jahre entsprechend ihres in einem Koalitionsvertrages ausgehandelten Regierungsprogramms. Beim Ausgeben von Geld auf dem Markt zählt jedoch jeder einzelne Cent wie eine kleine Stimme, die die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen votiert und den Produktionsstrom so mit chirurgischer Präzision zu den Bedürfnissen der einzelnen Menschen lenkt. Auch ändern sich die Bedürfnisse der Menschen sowie die Knappheiten der zur Verfügung stehenden Produktionsmittel ständig und müssen über die freie Preisbildung ständig neu austaxiert werden. Wird Weizen für Weizenbrot zum Beispiel knapp, wird der Bäcker dies automatisch über einen höheren Preis für das Weizenbrot an seine Kunden weitergeben, um Warteschlagen oder leere Brotregale beim Weizenbrot zu vermeiden. Kunden akzeptieren den höheren Weizenbrotpreis eventuell oder erhalten über den höheren Weizenbrotpreis einen Anreiz, beispielsweise auf günstigeres Roggenbot umzusteigen. Dies wiederum kann für die Bäcker einen Anreiz darstellen, auf das weniger knappe und damit günstigere Roggenmehl umzusteigen. Jedenfalls werden so Angebot und Nachfrage in kurzer Zeit recht effizient und effektiv zusammenfinden, sodass die möglichen Produktionskapazitäten optimal zur Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen beitragen können.

 

Eine überbordende Planwirtschaft führt zu Verschwendung, Vetternwirtschaft und Chaos.

Legt der Staat beispielsweise Mietpreisobergrenzen im Zentrum großer Städte fest, die unterhalb des Marktpreises für Mieten liegen, weil seine Wähler die Mieten in ihrem Unverständnis der Preisbildung auf dem freien Markt zu hoch finden, passiert Folgendes. Die günstigeren Mieten ziehen mehr Nachfrage nach dem knappen zur Verfügung stehendem Wohnraum an. Es kommt zu langen Warteschlangen vor den Wohnungen, wo vorher zum Marktpreis noch jede Wohnung genau einen Mieter fand, der noch bereit war, den Preis zu zahlen. Durch die niedrigeren Mietpreise wird Vermietern ein Anreiz genommen, Wohnraum durch Renovierung oder Nachverdichtung zusätzlich bereit zu stellen. Die Anreize für die Wohnung Bestechungsgelder an private oder öffentliche-rechtliche Vermieter zu zahlen steigen. Eventuell wird nur noch an Familie, Freunde oder Menschen mit besonderen politischen Beziehungen vermietet. Menschen mit hohem Gehalt, die sich den Wohnraum in einer Zentrumslage leisten könnten, bekommen eventuell keine Wohnung und müssen lange und ermüdende Anfahrtswege zu ihrer Arbeitsstelle in der Stadt in Kauf nehmen, was sie in ihrer Leistungsfähigkeit schwächt. Auch die Anreize Wohnungen leer stehen zu lassen, um sie für Familienmitglieder oder Freunde freizuhalten, steigen bei niedrigeren Mietpreisen. Und der Anreiz für Landflucht in die Zentren der Großstädte steigt, wenn dort zu günstige Mieten locken und über staatlich zusätzlich gebaute Sozialwohnungen auch im Angebotsbestand für genügend Interessenten bereitgestellt werden. Als Reaktion wird dann jedoch die Verwahrlosung ländlicher Regionen kritisiert und ebenfalls versucht, dies mit Fördergeldern des Staates zu kompensieren. Es bleibt ein sinnloser Kampf, in dem am Ende mehr Geld in Bürokratie und Verwaltung versickert als es den Menschen in Form realer Güter und Dienstleistungen zugutekommt.

 

Lebensqualität und Freiheit sind bei einer Staatsquote von über 50 Prozent akut gefährdet.

Natürlich können bestimmte Ausgaben wie unzweifelhaft die Landesverteidigung und Grenzsicherung oder die Polizei (innere und äußere Sicherheit) gemeinschaftlich und zentral über die Regierung bereitgestellt werden. Die Bedürfnisse der Menschen sind hier relativ ähnlich und konstant und der Nutzen kommt allen Menschen gleichermaßen zugute. Über die Wahl einer Regierung, die sich um diese Angelegenheiten kümmert, bilden die Bürgerinnen und Bürger nichts anderes als eine Einkaufsgemeinschaft, um die gewünschten Leistungen im Zweifel sogar günstiger und besser zu erhalten, als wenn jeder diese Leistungen auf eigene Faust bezieht. Es ist augenscheinlich klar, dass dies für bestimmte Lebensbereiche funktionieren kann oder sogar besser sein kann als der Bezug über den freien Markt. Eindeutig klar ist jedoch auch, dass dies nicht für die Mehrheit der Konsum- und Investitionsentscheidungen gelten kann. Bereits in der Wohngemeinschaft eines frisch verliebten Paares kommt es nach kürzester Zeit zu Uneinigkeiten und Streit über die gemeinsam getätigten Einkäufe und Investitionen, sodass eine Aufteilung in Gemeinschafts- und Individualentscheidungen erfolgt. Wäre man hier im überwiegenden Teil seiner Ausgaben von der Zustimmung des Partners abhängig, würden dies die meisten Menschen als Terror oder Gefängnis empfinden. Wo es für die meisten Frauen und Männer zum Beispiel klar ist, dass sie selbst in einer Ehe noch unabhängig bleiben wollen und über den überwiegenden Teil ihrer Ausgaben selbst bestimmen wollen, vergessen sie dies oft gegenüber dem Staat. Denn die Ausgaben für Steuern, Beiträge und Gebühren sind oft hinter einer komplexen Bürokratie und den Preisen von Produkten und Dienstleistungen versteckt, während die Leistungen des Staats wie Geschenke propagiert und wahrgenommen werden.

 

Ohne rasche Senkung der Staatsquote droht ein volkswirtschaftlicher Totalbankrott. 

Nicht nur wird der effiziente und effektive fließend im Alltag verlaufende Harmonisierungsmechanismus zwischen Angebot und Nachfrage über die Hemmung der freien Preisbildung aufgehoben. Auch werden mittel- und langfristige Investitionsentscheidungen nicht mehr anhand dringlicher Konsumbedürfnisse und Knappheiten auf dem Markt allokiert. Zudem wird die individuelle Eigenmotivation und Haftung für Investitions- und Konsumentscheidungen ausgehebelt und in eine Ebene kollektiver, nicht mehr klar zuordenbarer Verantwortung überführt. Dies endet dann in kollektiver Verantwortungslosigkeit. An welchen Stellen die Volkswirtschaft zum Erliegen kommt, wenn alles überwiegend planwirtschaftlich statt marktwirtschaftlich geregelt wird, ist nahezu unvorhersehbar. Dies kann der Wohnungsmarkt sein, es kann das Gesundheitssystem sein, es kann der Arbeitsmarkt oder der Markt für Lebensmittel sein. Ähnlich eines nervenkranken Patienten, bleibt die Reaktion einer Volkswirtschaft dessen Informationsübertragung und Entscheidungsfähigkeit auf Grund planwirtschaftlich gestörter und gehemmter Preissignale unberechenbar. Schritt für Schritt fallen dann immer mehr systemrelevante Funktionen aus, bis nicht mehr die Regierung, sondern Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit, Verwahrlosung, Hunger, Armut und Chaos das Land regieren. Durch die gestörten Preissignale und die mangelnde Motivation der Menschen wird die Kapitalsubstanz der Volkswirtschaft schlicht verzehrt.

Der Regierung, der Politik und ihren Wählern bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder so weiter machen wie bisher, bis alle vorhanden Kapitalreserven verbraucht sind und die Produktivität der Menschen so weit sinkt, dass die daraus resultierende ökonomische und soziale Notlage zur Rückkehr zu den Tugenden der Marktwirtschaft zwingt. Oder mittels rechtzeitiger Reformen wie etwa durch die Agenda 2010 einst angestoßen durch vorherige Einsicht der ökonomischen Sachzusammenhänge umlenken, bevor das Schiff kentert. Viel Zeit zum Handeln bleibt nicht mehr. Das Überschreiten der Staatsquote von 50 Prozent ist ein deutliches Signal und fordert einen regelrechten Notfallplan zur Rückkehr in eine funktionierende Marktwirtschaft aus Gründen der ökonomischen, sozialen und politischen Stabilität.

 

Ralph Bärligea

Quellen:

Staatsquote – Ausgaben des Staates in Relation zum BIP in Deutschland bis 2020 | Statista

Staatsquote: Deutschland auf dem Weg in den Sozialismus (handelsblatt.com)

Steuermythen – Mythos 3 zum Thema „Staatsausgaben“

2 Kommentare für “„Inzidenzwert“ zum Sozialismus überschritten: Deutsche Staatsquote steigt 2020 auf über 50 Prozent”

  1. jonasprien

    Ausgezeichneter Artikel! Das Jahr 2020 ist in jederlei Hinsicht ein ganz Besonderes mit vielen unvorhersehbaren Entwicklungen. Die hohe Staatsquote kann und darf nur die absolute Ausnahme sein, denn sonst stimme ich Ihnen zu: sind Freiheit und Lebensqualität massiv gefährdet!

    Antworten

Trackbacks/Pingbacks

  1.  Kommunismus und ökonomische Unfreiheit haben die Seiten gewechselt | Denkanstöße

Schreibe eine Antwort zu jonasprien Antwort abbrechen