Prof. Dr. Gerd Habermann

Die Verwirrung um die Begriffe „liberal“ und „konservativ“ ähnelt dem Eiertanz um die Kategorien „Rechts“ und „Links“ oder der Debatte zum Thema: Was ist sozial? Manche Liberale schrecken vor dem Konservativen zurück, manche Konservative fühlen sich unwohl, wenn man sie liberal nennt. Manche nennen sich „liberalkonservativ“ – verbinden also die sich angeblich ausschließenden Elemente. Und dann gibt es noch die besonders Schlauen, die sich mit dem Begriff „Mitte“ aus der Affäre zu ziehen versuchen.

Liberale glauben an den Wert der Freiheit, des Eigentums, das mit der Freiheit verbunden ist, und an ein strenges Moralsystem, welches Freiheit und Eigentum sichert: die Regeln der „einfachen“ Gerechtigkeit, die so präzise wie die Regeln der Grammatik sind. Zum Beispiel: Wenn mir jemand 10 Euro leiht, bin ich ihm genau diese 10 Euro schuldig, wenn mich jemand verletzt, betrügt und so weiter, wird er dafür vor Gericht verurteilt (Zivil- oder Strafrecht). „Soziale“ Gerechtigkeit dagegen muss ein System der Willkür sein. Sie ist die Gerechtigkeit des Sozialismus und des Wohlfahrtsstaates, der jedem das Seine zuteilt.

Es ist also – entgegen einem groben Missverständnis – nicht die „absolute Freiheit“, kein „anything goes“, sondern die Freiheit unter dem (moralischen) Gesetz, die der Liberale vertritt. Die Gewalt muss dem freien Vertrag auf Basis eines Einverständnisses weichen. Das realistische Menschenbild, das dahinter steht: Kein Mensch ist nur gut oder böse, sondern er hat Eigeninteressen materieller oder ideeller Art, die sich aber nur unter Beachtung moralischer Regeln durchsetzen dürfen. … Vorwärtsbringen kann man sich in einer arbeitsteiligen Marktwirtschaft nur dadurch, dass man seinem Nächsten einen  nützlichen Dienst erweist. Damit dient man auch eigenen Interessen. Gewinn macht man im Maße dieses Nutzens für andere. Dies ist der dynamisierende Effekt in einer Marktwirtschaft.

Unterscheidung zwischen Kulturkonservatismus und Strukturkonservatismus

Selbsterhaltung ist eine erste moralische Pflicht, weil man sonst Anderen zur Last fallen würde oder stehlen oder betteln müsste. In diesem Sinne führt die disziplinierte Freiheit zu einer sozialen Ordnung, Ordnung durch Freiheit, „spontane“ Ordnung, wie F. A. von Hayek sie nennt. Diese Ordnung reicht über den naiven Gegensatz von Altruismus und Egoismus hinaus; sie beruht auf gegenseitigem (rechtverstandenen) Nutzen. Eine freie Ordnung unter dem moralischen Gesetz ist das Gegenteil einer Zwangsordnung, die auf Befehlen einer kommandierenden Elite aufgebaut ist. … Sie beruht auf Institutionen, die sich im Wettbewerb als erfolgreich durchgesetzt haben und zur Koordination sozialer Handlungen unentbehrlich sind: Traditionen, Sitten, Gebräuche, die Sprache, freie Gemeinschaft aller Art, von der Familie bis hin zu den größeren Gemeinschaften lokaler oder nationaler Art, religiösen oder politischen Gebilden, freien Vereinen, Genossenschaften und so weiter. Der Liberale hält es für moralisch verwerflich und ruinös, diese gegliederte Gesellschaft einem einheilichen Plan zu unterwerfen, das, was Hayek „Konstruktivismus“ nennt, dessen wichtigster Repräsentant der moderne Sozialismus ist.

In diesem Sinn, dass er das überlieferte Institutionengebäude für unentbehrlich hält und der freien Entwicklung überlässt, ist der Liberale Evolutionist und damit konservativ- „bewahrend“: Das zeigt sich im klassischen Liberalismus von der schottischen Schule, besonders der von Hume, Ferguson, Burke, Adam Smith über Tocqueville und Lord Acton bis hin zu etwa Bertrand de Jouvenel, Vertretern der sogenannten Österreichischen Schule wie namentlich F. A. von Hayek oder aktuellen Denkern wie Roger Scruton. Das Liberale verbindet sich hier untrennbar mit dem Konservativen.

Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen Struktur- und Wert- oder Kulturkonservativismus. Ein „Strukturkonservativer“ verteidigt jede Ordnung, wenn sie einmal da ist und vielleicht nur auf Zwang beruht. Alle Personen, die an die Macht gekommen sind, werden in diesem Sinne bald konservativ, indem sie mit Staatszwang ihre Stellung und von oben geschaffene Sozialstrukturen behaupten wollen, auch und gerade die Sozialisten oder ihre reformerische Variante: die Anhänger des sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaates, wohl das Konservativste, was es gegenwärtig gibt.

Individualismus oder Kollektivismus

Auch viele jener, die sich „konservativ“ nennen und den Liberalismus weit von sich weisen, sind doch auch für Subsidiarität, Rechtsstaat, Marktwirtschaft, Eigentum, Grundrechte und haben damit schon die Brücke zum Liberalismus geschlagen. Freilich eine Spielart des Konservatismus ist kaum mit dem hier vertretenen Liberalismus zu  vereinbaren: die Staatsvergötzung, die Verherrlichung des Staatskollektivs, als einer Art altruistischer Überperson und „Verkörperung der sittlichen Idee“, die namentlich in Deutschland namhafte Vertreter gefunden hat und immer noch hat, von Fichte und Hegel, über Treitschke, Schmoller und so weiter bis zu den modernen Sozialdemokraten aller Parteien. … Wobei Staat als bürokratische Zwangssorganisation nicht dasselbe ist wie politische Gemeinschaft, Volk, Nation, die gemeinsame Gefühle und freie Loyalitäten voraussetzen.

Noch ein Wort zur Unterscheidung von „Rechts“ und „Links“. Sinnvoll könnte folgende   Unterscheidung sein: die „Rechten“ stehen für individuelle Freiheit und die entsprechenden Institutionen einer spontanen Ordnung, Privatautonomie, Subsidiarität, Gleichheit unter dem Gesetz, Marktwirtschaft, Wettbewerb, evolutorisch bewährte Traditionen und Loyalitäten („Patriotismus“). Sie akzeptieren Ungleichheit und Differenzierung, individuelle menschliche Unterschiede sowohl physisch als auch geistig-mental und was die soziale und physische Umwelt betrifft.

Die Linken stehen für erzwungene absolute Gleichheit (Gender-Ideologie, „Antidiskriminierung“ im Privatrecht, Umverteilung). Sie stehen für eine Vergötterung des Staates oder sonstigen Kollektivs, für Kommandowirtschaft, Ablehnung des Privaten,  also für Sozialismus, Nationalismus und die häufige Verbindung beider. Der sozialdemokratische Wohlfahrtstaat mit seiner Feindlichkeit gegen freie Institutionen und Privatheit steht eindeutig „links“. Aber auch „Nazis“ gehören in die gleiche „linke“ Kategorie wie internationalistische Sozialisten, deren Internationalismus ja meistens auch nur auf dem Papier steht, wie der Misserfolg der „Internationale“ zeigt.

Also der substanzielle Unterschied zwischen Rechts und Links: Freiheit oder Gleichheit, ähnlich in Abwandlung: Individualismus oder Kollektivismus.

Noch ein Wort zur politischen Position der „Mitte“. Hier hat Hayek das Entscheidende gesagt: „Als Befürworter des mittleren Weges der Mitte ohne eigenes Ziel waren die Konservativen von dem Glauben geleitet, daß die Wahrheit zwischen den Extremen liegen muß – mit dem Ergebnis, daß sie ihre Position verschoben, so oft sich an einem der Flügel eine extreme Bewegung zeigte.“ Die jüngere Geschichte der „konservativen“ CDU kann dies gut illustrieren. Ähnlich ist wohl folgende politische Position zu bewerten: „Mein Standpunkt ist der Kompromiss“, der ja frei sein muss von jeder eigenen ideellen oder sachbezogenen Bindung und in völlige Beliebigkeit, in gesinnungslosen Opportunismus führt.

 

von Gerd Habermann

 

Ddieser Beitrag wurde ursprünglich bei der Achse des Guten unter veröffentlicht: https://www.achgut.com/artikel/kann_ein_konservativer_liberal_und_ein_liberaler_konservativ_sein

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