Corona-Pandemie, Coronomics, Prof. Dr. Ulrich van Suntum

Eines vorweg: Ich bin kein Anhänger von Verschwörungstheorien, wonach die Corona-Krise von der Politik nur aufgebauscht werde, um uns um unsere Freiheitsrechte zu bringen. Wir haben es mit einer echten Pandemie zu tun, der vermutlich gefährlichsten seit der Spanischen Grippe von vor fast genau 100 Jahren. Auch die wirtschaftlichen Folgen sind unabsehbar, es könnte zur schlimmsten globalen Krise seit der weltweiten Depression in den 1930er Jahren kommen.  Allein was sich in den USA abspielt, ist schon eine humane und ökonomische Katastrophe, die gravierende Folgen für die gesamte Weltwirtschaft haben wird.

Auch Deutschland ist stark betroffen, aber wir profitieren von einem ungleich besseren Gesundheits- und auch Wirtschaftssystem. Weder gibt es in Deutschland unversicherte Personen, noch werden bei uns die Arbeitskräfte sofort auf die Straße gesetzt. Das ordoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftssystem mit Institutionen wie Kurzarbeitergeld, Kündigungsschutz, Pflichtversicherung gegen Krankheit und Arbeitslosigkeit und vielen anderen sinnvollen Rahmenbedingungen für den Wettbewerb bewährt sich jetzt ein weiteres Mal. Schon aus der Finanzkrise ist Deutschland ungleich besser herausgekommen als die meisten anderen Länder, inklusive der USA mit ihrem wesentlich kapitalistischeren Wirtschaftssystem. Das sollte allen zu denken geben, die heutzutage die Nase rümpfen über den – angeblich wissenschaftlich unfundierten – Ordoliberalismus und stattdessen in der angelsächsischen, mathematisch geprägten Ökonomie den alleinigen Maßstab für wissenschaftliche Qualität sehen.

Unsere von mittelständischen Unternehmen geprägte Marktwirtschaft zeigt gerade in der aktuellen Krise, wie anpassungsfähig sie ist. Mit enormem Erfindungsreichtum und persönlichem Einsatz versuchen die Unternehmer und Selbständigen, ihre Existenz zu retten und mit ihr viele Arbeitsplätze und Produkte, die sonst verloren gehen würden: Restaurants stellen auf Bring- und Holservice um. Reisebüros und Konzertveranstalter verkaufen Gutscheine, die später eingelöst werden können.  Hotels bieten ihre Kapazitäten als Hilfskrankenhäuser und Pflegestellen an. Textilhersteller produzieren Gesichtsmasken und Schutzkleidung statt Modewaren. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Natürlich reicht all dies bei weitem nicht aus, um den Wirtschaftskreislauf in Schwung zu halten. Darum ist jetzt tatsächlich die Stunde Keynesianischer Politik gekommen, in welcher der Staat mit Krediten, Zuschüssen und Hilfsprogrammen die Makroökonomie zu stabilisieren versucht. Aber es ist gut, dass die mikroökonomischen Entscheidungen und Initiativen dabei weiterhin auf der Unternehmensebene verbleiben, wo Hunderttausende von dezentralen Entscheidungsträgern täglich nach neuen Lösungen und Wege suchen. Eine Planwirtschaft wäre damit hoffnungslos überfordert, denn sie bietet weder genügend Anreize noch die Spielräume für entsprechendes unternehmerisches Handeln.

Wir müssen darum aufpassen, dass die Krise nicht für einen Umsturz unseres gesamten Wirtschafts- und Gesellschaftssystems mißbraucht wird. Schon wird von der Linken genau dieses gefordert, obwohl der Virus ja nicht etwa im kapitalistischen Westen seinen Ursprung hatte, sondern im kommunistischen China, wie überhaupt fast alle Seuchen der vergangenen Jahrzehnte. Davon gab es eine ganze Menge, wie der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Sondergutachten aufgezählt hat:  Die Asiatische Grippe 1957 und die die Hongkong-Grippe 1968 (mit jeweils 1 Mio. Toten weltweit), die SARS- und die MERS-Epidemien 2002 bzw. 2012, die Schweinegrippe 2009 und die Vogelgrippe 2013, die (aus Afrika stammende) Ebola-Epidemie 2014 und nicht zuletzt die „normale“ Influenca, die 2017/18 allein in Deutschland 25.000 Tote gefordert hat. Wir hätten also gewarnt sein müssen, zumal im Zuge der Globalisierung – das ist wahr – die internationalen Übertragungswege von Krankheiten aller Art immer größer und schneller geworden sind. Für die Zukunft ist daher zu hinterfragen, ob wir wirklich die freie Mobilität von Personen im bisherigen Umfang und ohne jegliche Kontrollen aufrechterhalten können. Zumindest muss es jedem Land – auch innerhalb der EU – freistehen, zum Schutz seiner Bevölkerung selbst darüber zu entscheiden, wer unter welchen Umständen und in welcher Zahl ins eigene Land kommen darf. Dies umso mehr, als Personenfreizügigkeit ohnehin ein Substitut und kein Komplementärgut für den freien Warenhandel ist. Denn je freier die Waren international gehandelt werden, desto weniger Notwendigkeit und Rechtfertigung gibt es dafür, dass die Produktionsfaktoren wandern, insbesondere was den Faktor Arbeit betrifft.

Die Corona-Krise zeigt kein Marktversagen, sondern vielmehr ein eklatantes Versagen der Regierungen, nicht nur, aber eben auch in Deutschland. Bereits 2013 hat dem Bundestag ein ausführlicher „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“ (BTDS 17/12051 vom 3.1.2015) vorgelegen, in dem das jetzige Szenario einer Corona-SARS-Epidemie mit beängstigenden Parallelen zur jetzigen Situation durchgespielt wurde. Es wird dort sogar der Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung prognostiziert, wörtlich heißt es u.a. (S. 73):

„Die personellen und materiellen Kapazitäten reichen nicht aus, um die gewohnte Versorgung aufrecht zu erhalten. Der aktuellen Kapazität von 500.000 Krankenhausbetten (reine Bettenanzahl, von denen ein Teil bereits von anders Erkrankten belegt ist, die Bettenzahl ließe sich durch provisorische Maßnahmen leicht erhöhen) stehen im betrachteten Zeitraum (1. Welle) mehr als 4 Millionen Erkrankte gegenüber, die unter normalen Umständen im Krankenhaus behandelt werden müssten. Der überwiegende Teil der Erkrankten kann somit nicht adäquat versorgt werden, so dass die Versorgung der meisten Betroffenen zu Hause erfolgen muss. Notlazarette werden eingerichtet.“

Dennoch wurde keine entsprechende Vorsorge getroffen. Nicht einmal die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestvorräte an Schutzausrüstung etc. hat man eingehalten, wie eine soeben erschienene Denkschrift des Bundeswehrinstituts German Institute for Defence and Strategic Studies enthüllt (GIDS Statement Nr. 1 / 2020, April 2020). Wörtlich heißt es dort (S. 2ff):

„Die drohende Gefahr einer Pandemie war bekannt. Experten haben immer wieder auf die Relevanz für die nationale und internationale Sicherheit sowie die Bedeutung der Früherkennung und hinreichender Infrastruktur hingewie­sen… Ungeachtet dieser günstigen Rahmenbedingungen deckt die Krise aber immer deutlicher das Fehlen substantieller, eigentlich gesetzlich vorgeschriebener Ressourcen auf der Ebene der Kommunen und der Länder sowie den Mangelan strategischen Reserven bei Personal, Material und Infrastruktur beim Bund auf.“

Überraschend ist, dass diese Versäumnisse derzeit von den Leitmedien kaum thematisiert werden, insbesondere auch nicht von den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehsendern. Während man dort täglich und beinahe genüßlich die Fehler und Zustände in den USA und Großbritannien kritisiert, fehlt entsprechende Kritik an der eigenen Regierung fast völlig. Diese wird vielmehr als entschlossene Bekämpferin der Krise inszeniert, obwohl sie noch im Februar die Gefahr herunterspielte und gar Karnevals- und Fußballgroßveranstaltungen weiter geschehen ließ. Bei einer solchen Medienberichterstattung kann es nicht überraschen, dass die Regierungsparteien zuletzt sogar an Popularität gewonnen haben, obwohl insbesondere die CDU und ihre Kanzlerin seit fast zwei Jahrzehnten an der Macht sind und damit sowohl die oben beschriebenen Versäumnisse als auch das aktuell viel zu zögerliche Eingreifen zu verantworten haben. Wie auch immer: Wer jetzt die Gelegenheit wahrnimmt und das marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem zu kippen versucht, stellt die Dinge auf den Kopf. Nicht die Marktwirtschaft und die Unternehmer haben versagt, sondern der Staat, zu dessen ureigensten Aufgaben der Katastrophenschutz und die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit gehören – übrigens nicht nur gegen Gesundheitsgefahren, sondern auch gegen Kriminalität und militärische Interventionen, wo ebenfalls sehr viel im Argen liegt. Statt dafür Vorsorge zu treffen und entsprechende Ressourcen bereitzustellen, wurden eher abwegige Schreckensszenarien – etwa im Zusammenhang mit der Kernenergie und dem Klimawandel – an die Wand gemalt und damit regelrechte Hysterien ausgelöst. Viel näherliegende, reale Gefahren hat man dagegen offensichtlich ausgeblendet. Nach der Krise wird sich deshalb vieles ändern müssen, aber das marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem gehört ganz sicher nicht dazu

Fundorte der zitierten Quellen: