Erscheinungen wie der Absturz Venezuelas sind keine Pannen, sondern systembedingt. Jede Form des Sozialismus trägt den Keim ihres Untergangs in sich. Ein Kommentar von Robert Nef.
«Ein bitteres Ende kann hinausgezögert, aber nicht vermieden werden.»
Zum Autor
Robert Nef ist Stiftungsratsmitglied des Liberalen Instituts, Zürich.
Die politisch-ideologischen Auseinandersetzungen laufen heute immer noch nach einem marxistisch inspirierten und völlig untauglichen Links-rechts-Schema ab. «Links» ist aus dieser Sicht fortschrittlich und humanitär, «rechts» rückschrittlich und antisozial. Der sogenannte Neoliberalismus gilt als rechter Flügel und damit als Feind des sozialen und ökologischen Fortschritts. Wer Marktwirtschaftler und Freihändler «rechts» nennt, muss sein Ideologieschema auf dem historischen Hintergrund sorgfältig überprüfen. Früher oder später erweist sich die Untauglichkeit dieser grob vereinfachenden Zweiteilung.
Nationalkonservative, Faschisten und Nationalsozialisten waren immer gegen freie Märkte, für Merkantilismus und Staatswirtschaft und (wörtlich!) für ein Primat der Politik. Konsequente Liberale sind für offene Märkte, Vielfalt, Freiwilligkeit und Wettbewerb als Entdeckungsverfahren und als Basis individueller und gemeinsamer Lernprozesse und gegen ein Primat der Politik.
Im linksintellektuellen Milieu herrscht immer noch die These vor, zwar seien beide Ideologien, die nationalsozialistische und die sozialistische, abzulehnen und seien gescheitert, der Sozialismus (mit den fünf z. T. immer noch positiv besetzten Idolen Lenin, Mao, Ho Chi Minh, Che Guevara und Fidel Castro) sei aber mindestens «gut gemeint» und humanistisch gesehen «ethisch wertvoller» als der abgrundtief böse rassistische Nationalsozialismus. Diese Unterscheidung ist moralisch schwer begründbar. Macht ist an sich böse und totalitäre Macht total böse, was immer auch die Motive sind, die vorgebracht werden, um Individuen zu zwingen, zu unterdrücken, zu ermorden und verhungern zu lassen.
Erst international, dann national
Alle Spielarten des Sozialismus (sowjetisch, chinesisch, jugoslawisch, vietnamesisch, kambodschanisch, nordkoreanisch, kubanisch, arabisch, iranisch, afrikanisch, lateinamerikanisch) hatten zunächst eine internationalistische, klassenkämpferische Rhetorik. Bald nach der Enteignung oder Teilenteignung der Privateigentümer und nach der Etablierung eines Polizeiapparats gegen Dissidente und Reaktionäre zeigten sie eine immer stärker werdende Tendenz zu dem korporatistischen (im Fall der Sowjetunion auch imperialistischen) Mischsystem von Staat und Wirtschaft, das als Begleiterscheinung des Kollektiveigentums unweigerlich entsteht.
Die selbst ernannten Verwalter des Kollektiveigentums werden unter der «Diktatur des Proletariats» zu einer neuen Klasse und schliesslich zu den Privateigentümern des Kollektiveigentums. Diese Klasse stützt ihre nationalistisch-sozialistische und persönliche Macht auf die Kooperation mit den kollektivierten Firmen, den zur «Bekämpfung des «Rest-Privatkapitalismus» und der Schwarzmärkte aufgebauten Polizeiapparat und auf die «Volksarmee». Was entsteht, ist totalitäre Staatswirtschaft, ohne Meinungsfreiheit, ohne Wettbewerb, ohne offene Gesellschaft und ohne Lernprozesse.
Die neuen sozialistischen Machthaber bewirtschaften das Korruptionssystem und bauen meist eine eigene neofeudale Familiendynastie auf. Überleben können sie nur, wenn sie schrittweise Privateigentum zulassen und schliesslich den kollektivistischen etatistischen Sozialismus mehr oder weniger offen in den auf Privateigentum und Wettbewerb abgestützten Kapitalismus überführen: der «lange Marsch zurück», zurück zur Markt- und Bürgergesellschaft. Wer dieses Rennen verliert, verliert die Macht und mutiert vom sozialistischen und nationalistischen Helden zum Schurken.
Das Dahinsiechen solcher Systeme kann Jahrzehnte dauern, doch kann ein bitteres Ende, wie es sich in Venezuela abzeichnet, zwar hinausgezögert, aber nicht vermieden werden. Leider werden solche Regime in der Regel dann nicht unmittelbar durch weltoffene freiheitsfreundliche Liberale abgelöst, sondern durch eine neue Politikerkaste, die gemeinhin eine schnelle Rückkehr zu allgemeinem Wohlstand verspricht, ohne der Tatsache Rechnung zu tragen, dass eine Marktwirtschaft auf der allseitigen Bereitschaft zum Leisten, zum Lernen, zum Sparen und zum Investieren im eigenen Land beruht und nicht auf neuen Umverteilungssystemen.
Entscheidend wären der schnelle Rückzug aus dem Interventions-, Umverteilungs- und Subventionsstaat, der auch die wahre Ursache der Korruption ist, und die Rückkehr zu einer rechtsstaatlichen Ordnung, die Privateigentum garantiert und schützt. Korruption ist in den meisten Fällen nur der illegale Ausweg aus immer absurderen Regulierungen und konfiskatorischen Besteuerungen. Werden sie abgebaut, verschwindet auch der diesbezügliche Anreiz zur Korruption.
Der nationale Sozialismus überlebt oft Jahrzehnte, weil er seinen ökonomischen Untergang dank Staatskapitalismus, Schwarzmärkten, Rohstoffausbeutung und internationalem Schmarotzertum immer wieder hinauszögern kann. Früher oder später ist er aus ökonomischen und soziokulturellen Gründen zum Untergang verurteilt. In der Endphase des Untergangs, wie derzeit in Venezuela, werden die Ursachen ausländischen Mächten, dem internationalen Kapitalismus und internen Klassenfeinden angelastet. Tatsache ist aber: Die selbst ernannten und temporär populären Führer müssen immer mehr versprechen und können immer weniger halten. Sie scheitern letztlich an sich selbst.
Der Zerfall des Sozialismus beruht nicht einfach auf einzelnen bedauerliche «Pannen» in der Umsetzung einer «an sich guten und zukunftsträchtigen» Ideologie, sondern es sind Entwicklungen, die derart regelmässig abgelaufen sind, dass man schon fast von einem historischen Gesetz im Zerfallsprozess einer intrinsisch untauglichen und verderblichen Ideologie reden könnte, die also den Keim ihres Zerfalls in sich selbst trägt.
Eine zyklische Theorie der historischen Gesetzmässigkeiten in Aufstieg und Fall politischer und ökonomischer Systeme ist schon von Aristoteles aufgestellt worden. Karl Marx hat sie dann als «historischen Materialismus» für den angeblich zwingenden Übergang vom Feudalismus zur kapitalistischen Bourgeoisie über den Sozialismus bis hin zum Kommunismus auf eine vermeintlich irreversible Entwicklungslinie gebracht. Diese marxistisch-leninistische Fortschrittstheorie hat sich inzwischen als verhängnisvolle Irrlehre entpuppt.
Gesetzmässigkeit des Zerfalls
Privateigentum, Familie, Kapital, Markt und Wettbewerb als Entdeckungsverfahren und Lernprozess haben sich weltweit als erstaunlich resistent und produktiv erwiesen. Die Theorie der Gesetzmässigkeit des Zerfalls untauglicher Systeme richtet sich nun gegen ihre eigenen Verkünder. Einen dieser im besten Sinn notwendigen Zerfallsprozesse nationalistisch-sozialistischer Fehlsysteme erleben wir derzeit in Venezuela, aber auch in Nordafrika, ja in ganz Afrika und ansatzweise auch in Nahost und in Kuba. Dies ist auch ein Grund für eine spürbar zunehmende Nervosität und Aggressivität im links-etatistischen Lager.
Die zunächst propagierte internationale Solidarität schmilzt an der Sonne der Realität sehr rasch zur nationalen, schliesslich zur nationalistischen und letztlich zur «Solidarität der profitierenden Schurken an der Macht» zusammen. Dies führt zu folgender Antithese zum marxistischen historischen Materialismus: Jeder Internationalsozialismus degeneriert zwingend zum nationalistischen Sozialismus, und die beiden verderblichen totalitären und kollektivistischen Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts sind nicht Brüder, sondern verschiedene Generationen von untauglichen und nicht nachhaltig praktizierbaren Zwangssystemen. Der nationalistische Sozialismus folgt auf den Internationalsozialismus wie der Sohn auf den Vater, und dieser Sohn kann sich in einer global vernetzten Informationsgesellschaft nicht dauerhaft an der Macht halten.
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