Corona-Pandemie, Coronomics, Europäische Union, Prof. Dr. Roland Vaubel, Staatsverschuldung, Wirtschaftspolitik

von Roland Vaubel

 

Der kürzlich vereinbarte Corona-Wiederaufbaufonds der EU soll seine Gelder im Rahmen des regulären EU-Haushalts verausgaben und sich aus Beiträgen der Mitgliedstaaten finanzieren, aber diese Beiträge sollen außerhalb des Haushalts durch Ausgabe von Gemeinschaftsanleihen aufgebracht werden, die von der Kommission emittiert und durch die zukünftigen Einnahmen für den EU-Haushalt von den Mitgliedstaaten garantiert werden. Auf diese Weise hofft die Kommission das in den Verträgen (vor allem Art. 310 AEUV) und in der EU-Haushaltsordnung verankerte Verbot eines defizitären Haushalts zu umgehen. Gegen diese rechtliche Konstruktion wird zweifellos vor den nationalen Gerichten geklagt werden, und der Fall wird irgendwann dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt werden. Ganz gleich, für wie berechtigt man diese Klagen hält, man wird in Anbetracht der bisherigen Urteile des Gerichtshofs (z.B. zu den Anleihekäufen der EZB und zur EFSF bzw. zu ihrem Nachfolger, dem ESM) davon ausgehen müssen, dass der Gerichtshof diese Klagen abweist. In der Vergangenheit hat er in 67 Prozent der Fälle zugunsten der Kommission entschieden. Er wird daher häufig als “Motor der Integration” bezeichnet.

 

Der entscheidende Grund, weshalb es die Kommission bisher nicht gewagt hat, Anleihen zu emittieren, ist, dass dies allgemein als verboten betrachtet wurde. Wenn nun der Gerichtshof in der Corona-Krise entscheidet, dass das Verbot umgangen werden darf, ist der Bann gebrochen. Dann entfällt ein für alle mal der entscheidende Einwand der Verschuldungsgegner, und die EU wird sich auch dann verschulden, wenn gar keine Ausnahmesituation vorliegt. Die EU wird ständig neue Schulden machen.

 

Die Verschuldung erleichtert den Politikern die Finanzierung höherer Staatsausgaben. Da die Mehrausgaben in der Rezession erfahrungsgemäß nicht durch entsprechende Minderausgaben im Boom ausgeglichen werden, steigt im Trend die Staatsquote zu Lasten der Privatwirtschaft. Deshalb ist die Schuldenfinanzierung des Wiederaufbaufonds ein schlimmer Präzedenzfall.

 

Was ist die Alternative? In einer Krise wie der jetzigen kommt es nicht in erster Linie darauf an, die Güternachfrage zu stimulieren, sondern das Güterangebot zu stützen, d.h. rentable Produktionen über die Krise hinwegzuretten. Einem Restaurantbesitzer oder einem Friseur, der nicht öffnen darf, hilft es nicht, wenn die EU oder die EZB die Nachfrage nach seinen Gütern und Dienstleistungen stimuliert. Der Corona-Schock ist zunächst einmal ein Angebotsschock: die zahlreichen Beschränkungen bis hin zum Lockdown verringern das Produktionspotential: Es kann nicht mehr so viel produziert werden. Die schwache Güternachfrage ist nur eine Folge des negativen Angebotsschocks; sie erholt sich, wenn das Angebotsproblem gelöst ist.

 

Auch eine Angebotspolitik, die die rentablen Produktionen erhält, erfordert eine temporäre Neuverschuldung des Staates; diese ist aber nicht mit keynesianischer Nachfragepolitik zu verwechseln. Eine Überbrückungshilfe kann wie in Deutschland sowohl aus Zahlungen als auch aus Steuererleichterungen bestehen. Die Zahlungen sollten die Unternehmen für den Schaden entschädigen, den ihnen die im Allgemeininteresse  verhängten Beschränkungen ihres Geschäftsbetriebs zugefügt haben – nach dem Prinzip: Keine Enteignung (oder enteignungsähnliche Maßnahme) ohne Entschädigung! Über solche angebotspolitischen Maßnahmen, d.h. Steuererleichterungen und Schadenersatzzahlungen, entscheiden am besten – demokratisch und bürgernah – die Parlamente der Mitgliedstaaten. Eine zusätzliche Quelle der Staatsverschuldung wie der Wiederaufbaufonds der EU ist dafür weder notwendig noch zweckmäßig.

 

Es kommt hinzu, dass die Mittel des Wiederaufbaufonds nicht für solche Zwecke verwendet werden sollen. Es sind sogar Zwecke vorgesehen, die nichts mit den Corona-Schäden zu tun haben. Die Kommission erfüllt sich lange gehegte Wünsche. Zum Beispiel soll eine “Strategic Investment Facility” etabliert werden, um Industriepolitik à la francaise zu betreiben, d.h. “Champions”,  Günstlinge der Politik, zu subventionieren. Außerdem sollen die Mitgliedstaaten dafür belohnt werden, dass sie die wirtschaftspolitischen Empfehlungen der Kommission annehmen. In der Vergangenheit wurden, wie eine Untersuchung zeigt, nur 14 Prozent der Kommissionsempfehlungen von den Adressaten befolgt.

 

“Lass keine Krise ungenutzt verstreichen”, riet Machiavelli seinem Fürsten. Die Kommission hält sich daran.

 

Roland Vaubel ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium.

Er ist außerdem Mitglied der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft sowie Träger der Hayek-Medaille.

 

Dieser Beitrag ist zuerst in der WELT erschienen: https://www.welt.de/wirtschaft/article215049548/Corona-Wiederaufbaufonds-Die-EU-wird-staendig-neue-Schulden-machen.html

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