Deutschland früher und heute – Nachkriegsdeutschlands Weg in die Hypersensibilität
In den Jahren 1969 und 1970 wütete in Deutschland die Hongkong-Grippe. Die Erkrankten spuckten Blut, die Krankenhäuser wurden überrannt, und am Ende waren 50.000 Infizierte tot. Im Vergleich zur Corona-Pandemie heute ist bemerkenswert, was die Politik in dieser Situation tat, nämlich im Großen und Ganzen nichts. Anders als die Ölkrise, der autofreie Sonntag, die Apo und die Studentenunruhen hat sich die Pandemie damals nicht einmal im historischen Gedächtnis verankert. So schnell, wie die Grippe sich ausgebreitet hatte, wurde sie auch wieder vergessen. Die Deutschen waren offensichtlich schwer aus der Ruhe zu bringen.
Das war nicht der einzige Blutzoll, den die Deutschen in dieser Zeit mit einem Schulterzucken hinnahmen. Im Jahr 1970 erreichte die Zahl der Verkehrstoten mit 21.000 ihren Höhepunkt. Dagegen lag die Zahl der Verkehrstoten im letzten Jahr bei 3.275. Es bedarf keiner großen Phantasie, sich auszumalen, welche öffentliche Debatte es heute in der Bundesrepublik gäbe, wäre die Zahl der Verkehrstoten nur annähernd so hoch wie damals: Das Auto wäre längst verboten worden. Davon konnte damals keine Rede sein. SPD-Verkehrsminister Georg Leber gab zur selben Zeit die Parole aus, dass keine Gemeinde ohne Autobahnzugang bleiben sollte.
Auch seine Genossen vertraten damals politische Positionen, bei denen ihren politischen Enkeln heute die Farbe aus dem Gesicht entweichen würde. Verteidigungsminister Helmut Schmidt rüstete die Bundeswehr auf, Arbeitsminister Walter Arendt wollte in der Ölkrise die türkischen Gastarbeiter abschieben lassen, und der SPD-linke Forschungsminister Hans Matthöfer sah die Kernkraft als Beispiel für erfolgreiche staatliche Infrastrukturplanung. Mit Positionen, die heute als „rechtspopulistisch“ gelten, ging man damals mit Bravour als Vertreter des sozialdemokratischen Mainstreams durch. Was im übrigen zeigt, wie zeitabhängig es ist, was als links oder rechts gilt.
Ein Auszug aus einem Kommentar von Dr. Gerard Bökenkamp, erschienen bei eigentümlich frei:
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